Stark steigende Corona-Fallzahlen verbinden viele mit dem Gedanken an erneute Lockdowns. Bei Börsianern ruft die Zuspitzung der Lage, wie sie im Moment wieder stattfindet, noch etwas anderes in Erinnerung: einbrechende Kurse. Ziemlich genau ein Monat lang, vom 20. Februar bis zum 23. März, sackten wegen der Pandemie weltweit die Börsenwerte ab. Der SMI etwa verlor 28 Prozent – gefolgt allerdings von einer kräfigen Erholung über mehrere Monate hinweg. Derzeit fehlen dem Schweizer Leitindex 8,5 Prozent zum Höchststand von Mitte Februar.

Thomas Steinemann, Anlagechef der Zürcher Privatbank Bellerive, bleibt vorsichtig optimistisch, was die Börse betrifft. In einen Massstab Eins zu Eins will er die Situation heute und damals trotz hoher registrierter Fallzahlen nicht setzen:  "Eine Welle im Herbst oder Winter ist erwartet worden – ich glaube aber nicht, dass die Lage so schlimm wird wie im März", sagt er im cash-Börsen-Talk. Auch politisch sei der Wille da, nicht noch einmal eine weitgehende Stilllegung des öffentlichen und damit auch wirtschaftlichen Lebens zu beschliessen. "Es wäre eine Überraschung für die Märkte, wenn es zu Lockdowns käme."

«Der Einfluss der US-Wahlen wird überschätzt»

In anderen Jahren ist der Oktober traditionell der Zeitpunkt gewesen, an dem die Märkte die Frage nach der Jahresendrally zu analysieren beginnen. Anleger fassen im Herbst oft die Zuversicht, dass es zum Jahresschluss noch zu steigenden Kursen kommt. Erklärungen für eine Rally gibt es einige. Oft wird angeführt, dass Investoren verlustträchtige Anlagen abstossen und bei guten Titeln noch zukaufen.

Dieses Jahr liegt aber neben der Coronaviruskrise ein weiteres, nicht einfach einzuschätzendes Ereignis einer Prognose im Weg: Neben der Fallzahlen-Thematik werde die Präsidentschaftswahl in den USA die Märkte stark beschäftigen, sagt Steinemann.

Würde Amtinhaber Donald Trump abgewählt – die Prognosen deuten derzeit darauf hin – könnten seine Steuersenkungsmassnahmen von den Demokraten zurückgenommen werden. Steigende Unternehmenssteuern wären eine Belastung für die Märkte. Steinemann bleibt aber gelassen.

"Generell werden Wahlen immer überschätzt." Abgesehen von kurzfristigen Turbulenzen, beispielsweise bei Wahlanfechtungen durch den unterlegenen Kandidaten, ist der Effekt des Urnengangs für die Börsen überschaubar, wie Steinemann sagt. Die Wirtschaftsprogramme Trumps und des Herausforderers Joe Biden seien viel ähnlicher, als dies zum Teil wahrgenommen werde.

Beide Kandidaten wollen Arbeitsplätze in den USA halten – was heisst, dass auch Biden als Präsident wie bereits Donald Trump und frühere US-Präsidenten zum Protektionismus neigen würde. Steinemann nennt auch geplante Konjunkturprogramme, eine kritische Einstellung zu den Pharmaunternehmen oder eine harte Linie gegenüber China als Gemeinsamkeiten der Pläne Trumps und Bidens. "Unterschiede bestehen vor allem bei den Themen Einwanderung und Klima."

Qualitäts-Zykliker haben weiter Potential

Damit bleibt Steinemann auch grundsätzlich optimistisch für Aktien. "Wenn ich davon ausgehe, dass die Corona-Thematik weniger schlimm sein wird als im März, sind die Chancen intakt, dass der Markt ins nächste Jahr oder gar das übernächste Jahr schaut."

Keinesfalls sollten Anlegerinnen und Anleger wegen der derzeit volatilen Stimmung auf konjunktursensitivere Aktien verzichten: "Zykliker haben dieses Jahr bewiesen, dass sie gut laufen können – eigentlich erstaunlich." Die guten zyklischen Firmen hätten auf der Gewinnseite gar keine so grossen Einbussen hinnehmen müssen. Steinemann würde Anlegern spezifisch Qualitätstitel wie den Haustechniker und Elektroniker Belimo, den Vakuumventilspezialisten VAT, den Bauchemiekonzern Sika oder den Spezialkunststoffehersteller Ems-Chemie ins Depot legen.

Wem diese gut gelaufenen Titel jetzt zu teuer sind – laut Steinmann haben sie durchaus längerfristig noch Potential – kann auch zu einer günstigeren Kategorie greifen: Namentlich die Schweizer Versicherungen liegen im Kurs etwas zurück. Zum Stand Mitte Februar fehlt Aktien wie Zurich, Swiss Life, Bâloise oder Helvetia ein Viertel bis fast die Hälfte Kurswert. Als wichtiger Grund für den Kursrückstand werden die sinkenden Zinsen an den Bondmärkten gesehen, speziell bei den Unternehmensanleihen, wo Versicherer traditionell stark investiert sind.

"Die Kreditspreads bei Unternehmensanleihen haben sich aber wieder beruhigt", sagt Steinemann. Die tiefen Kurse bei Versicherungen seien daher nicht gerechtfertigt. Nicht nur machten das Aufholpotential diese Titel attraktiv, sondern auch die Aussicht auf weiterhin gute Dividendenrenditen.