Die gute Stimmung schlägt voll durch die Mattscheibe. Auf allen Kanälen sieht man in diesen Tagen Ute, Kai, Uwe, Birgit, Jochen und Üzgür, wie sie Sandsäcke abfüllen, Dämme bauen, verwüstete Wohnungen räumen oder für die anderen Helfer Suppe kochen. Man duzt sich und mancher ist auch ganz stolz und erstaunt darüber, dass „wir“ zu so viel Solidarität noch fähig sind. Viele haben eine schlaflose Nacht hinter sich und doch sieht man kein einziges mürrisches Gesicht.

Es sind zwar überall auch Profis von der Feuerwehr oder vom Betriebsschutz dabei, aber die meisten Helfer arbeiten mit primitiven Mitteln von Hand. Dennoch ist ihre Arbeit hoch produktiv, denn sie befriedigt dringende Bedürfnisse: Die Dämme könnten reissen, viele Wohnungen müssen erst wieder bewohnbar gemacht und Strassen geräumt werden. Zudem hat der Einsatz durchaus noch einen gewissen Unterhaltungswert. Wenn Uwe in 20 Jahren nach seinem schönsten Erlebnis gefragt wird, kommt ihm wahrscheinlich nicht der Europa-Park in Rust in den Sinn, sondern sein Einsatz an der Flut-Front.

Und man fragt sich: Warum kann bezahlte Arbeit nicht wenigstens annähernd so sein? Eine Antwort gab mir neulich ein frisch pensionierter Mitarbeiter eines grossen Schweizer Medienhauses. Er hatte die Mitarbeiterzeitung dabei, die ein Interview mit dem CEO abdruckte. Der Big Boss wurde sanft auf Entlassungen angesprochen und antwortete so: „Meine Priorität ist die Gesundheit unserer Tätigkeit und unserer Aktien. Da ist die Suche nach Sparmöglichkeiten ein Muss.“ Kommentar des Ex-Mitarbeiters: „Und für so ein A... habe ich gearbeitet.“ Nun arbeitet man ja selten direkt für die Chefs, aber die prägen das Klima, und das ist dort offenbar schon so mies, dass auch die Redaktoren der Mitarbeiterzeitung jegliches Feingefühl verloren haben, sonst hätten sie ihrem Boss eine warmherzigere Formulierung vorgeschlagen.

Doch die Bilder von den Fluthelfern legen noch eine andere Überlegung nahe. Viele Landstriche Europas – auch in Deutschland – sehen auch ohne Flut ziemlich mitgenommen aus: kaputte Strassen, vergammelte Häuser, geschlossene Schwimmbäder, verödete Spielplätze. Auch dort könnten viele Hand anlegen. Der Pool der potentiellen Helfer bzw. der Arbeitslosen ist gross. Warum wird dieses Potential nur bei Naturkatastrophen wenigstens halbwegs ausgeschöpft? Warum ist die Marktwirtschaft so hilflos, wenn es darum geht, offensichtliche lokale Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen? Das Stichwort, das einem dazu einfällt heisst „Kompetitivität“. Moderne Volkswirtschaften sind voll darauf fixiert, Luxusbedürfnisse zu wecken und Exportmärkte zu erobern. Deshalb fahren aus den normal-verwüsteten Gebieten jeden Morgen tausende Arbeitskräfte los, um dutzende Stau-kilometer entfernt irgendwelche teuren Hautcremes, Designer-Felgen oder sonstigen Luxus zu produzieren, während zu Hause die Kinder unbeaufsichtigt bleiben, die Vorgärten veröden und der Dorfladen schliesst.

Ute, Kai, Uwe, Birgit, Jochen und Üzgür werden hoffentlich die Flut bewältigen. Wann setzen sie sich gegen die schleichende Verwüstung durch eine superkompetitive Marktwirtschaft zur Wehr?