Die Kriminalität von Asylsuchenden erhitzt die Gemüter seit Jahrzehnten und gewinnt vor allem im Zuge der jüngsten Flüchtlingsströme zunehmend an politischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Asylanten gelten oft als besonders anfällig für Kriminalität, und zwar sowohl als Täter als auch als Opfer.

Leider ist die öffentliche Diskussion zu diesem Thema meist von Vorurteilen anstatt von wissenschaftlichen Fakten geprägt. Deshalb verdient eine soeben in der Dezemberausgabe des American Economic Review veröffentliche Studie zu diesem Thema unsere besondere Aufmerksamkeit. Sie erklärt nicht nur die Ursachen der Kriminalität von Asylsuchenden, sondern zeigt auch wirksame Mittel zur Verringerung dieser Kriminalität auf.

Mathieu Couttenier von der Universität Lyon, Veronica Petrencu von der Universität Genf sowie Dominic Rohner und Mathias Thoenig, beide von der Universität Lausanne, untersuchten alle Asylsuchenden in der Schweiz im Zeitraum von 2009 bis 2016. Als Asylsuchende gelten dabei alle Personen, die bereits Asyl beantragt haben und auf die Genehmigung ihres Antrages warten.

Dies waren im Untersuchungszeitraum durchschnittlich 34'300 Personen pro Jahr. Die meisten Asylsuchenden kamen in diesem Zeitraum aus Eritrea (21 Prozent), Afghanistan (11 Prozent), Syrien (10 Prozent) und Sri Lanka (7 Prozent). 68 Prozent der Asylsuchenden waren unter 30 Jahre, das heisst diejenige Altersgruppe, die bekanntermassen die höchste Kriminalitätsrate aufweist, war deutlich überrepräsentiert.

Die Autoren bekamen vom Bundesamt für Statistik Informationen zu allen polizeibekannten Vergehen gegen das Schweizer Strafgesetzbuch innerhalb des Untersuchungszeitraums. Diese Polizeidaten sind sehr präzis: Sie geben unter anderem Auskunft über die Nationalität und den Wohnort der Täter und Opfer sowie über den Ort, die Zeit und die Art des Verbrechens.

Bei den Auswertungen der Daten konzentrierten sich die Forscher vor allem auf Gewaltverbrechen. Gemäss Schweizer Strafgesetzbuch sind dies strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, Verbrechen und Vergehen gegen die Freiheit sowie strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität. Dabei bestätigten sich zunächst zwei bekannte Phänomene. Erstens begehen Männer durchschnittlich mehr Gewaltverbrechen als Frauen. Bei den männlichen Asylsuchenden lag der Anteil der Gewaltverbrecher bei 3.09 Prozent, bei den weiblichen Asylsuchenden betrug er hingegen nur 0.30 Prozent. Zweitens erreicht die Gewaltrate im jungen Erwachsenenalter ihren Höhepunkt und nimmt dann mit steigendem Alter kontinuierlich ab.

Die Hauptforschungsleistung der Autoren besteht darin, eine der Hauptursachen für Gewaltverbrechen herauszufiltern. Sie können nämlich nachweisen, dass Asylsuchende, die in ihrem Herkunftsland während ihrer Kindheit Bürgerkriege und Massenmorde miterleben mussten, 1.75 mal häufiger Gewaltverbrechen verüben als Asylsuchende, die solchen Erlebnissen nicht ausgesetzt waren. Dieses Ergebnis betrifft aber nur Gewaltverbrechen. Für andere Straftaten wie etwa Vermögensdelikte lassen sich keine Unterschiede feststellen.

Interessant ist auch das Ergebnis, dass sich die Gewaltverbrechen der Asylsuchenden, die in ihrer Kindheit in ihren Heimatländern Bürgerkriege und Massenmorde miterleben mussten, überproportional häufig gegen Personen gleicher Nationalität richten. Dieses Ergebnis unterstützt die These der sogenannten «importierten Konflikte».

Die politisch wertvollste Erkenntnis der Studie besteht darin, dass sie aufzeigt, wie sich die Neigung zu Gewaltverbrechen von Asylsuchenden wirksam bekämpfen lässt. Da Asylsuchende in der Schweiz vom Bund relativ früh auf die Kantone verteilt werden, können die Autoren der Studie untersuchen, wie sich Unterschiede bezüglich der Arbeitserlaubnis und sozialen Integration zwischen den Kantonen auf die Gewaltkriminalität von Asylsuchenden auswirkt.

Das Ergebnis ist eindeutig: Kantone, die Asylsuchenden freien Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren, können hierdurch die Gewaltkriminalität der Asylsuchenden um zwei Drittel reduzieren. Ähnlich positive Effekte lassen sich gemäss der Studie auch durch Integrationskurse erzielen.