Die Kolumne «Gopfried Stutz» erschien zuerst im 

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: Im Vorfeld der Abstimmung zur 11. AHV-Revision vom 16. Mai 2004 sagte mir ein Verwandter, notabene SP-Sympathisant: "Dieser Revision dürfen wir nicht zustimmen. Das ist ein Sozialabbau. Punkt." (Ich habe ihm nicht widersprochen. Unter Verwandten sollte man nicht über Politik reden).

Wie heute ging es damals um eine Anpassung des Frauenrentenalters. Zudem hätte der Anspruch auf Witwenrenten mehr oder weniger den Witwerrenten angepasst werden sollen.

Am 25. September, 18 Jahre später, stimmen wir erneut über eine Anpassung des Frauenrentenalters ab. Die Witwenrenten werden aber diesmal nicht angerührt. Und im Unterschied zu 2004 wird diesmal die Übergangsgeneration grosszügig entschädigt.

Doch wenn man es nicht genau nimmt, kann man auch die vorliegende Vorlage als Sozialabbau bezeichnen. Deshalb ist die AHV-Revision für ganz viele Personen aus dem linken Spektrum ein No-Go – allein aus ideologischen Gründen.

Wenn man es aber genau nimmt, handelt es sich bei der Anpassung des Frauenrentenalters nicht um einen Sozialabbau, sondern um eine Korrektur eines schleichenden Sozialausbaus: Um die Jahrtausendwende hatte eine 64-jährige Frau eine Restlebenserwartung von 21,6 Jahren. Im Jahr 2020 waren es bereits 23,1 Jahre. Im Schnitt beziehen Frauen Jahr für Jahr mehr Rente. Das ist ein Sozialausbau, kein Sozialabbau.

Ebenso wenig kann man behaupten, die AHV spare auf dem Buckel der Frauen. Als Slogan tönt das zwar ordentlich. Einen Faktencheck wird diese Behauptung kaum bestehen. Wir stimmen am 25. September gleichzeitig über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ab, um das drohende Loch der AHV-Kasse zu stopfen. Diese zusätzlichen Mehrwertsteuerprozente bringen der Kasse mehr als die Anpassung des Frauenrentenalters.

Zudem bescheren Steuerreform und AHV-Finanzierung (Staf), vor drei Jahren an der Urne gutgeheissen, der AHV jährlich zusätzliche zwei Milliarden Franken. 1,2 Milliarden tragen Unternehmen und Versicherte bei. Damit werden die Lohnbeiträge für die AHV um 0,3 Prozentpunkte angehoben.

Gewiss, auch Männer leben länger und profitieren von einem schleichenden Sozialausbau. Doch wer die Geschlechter gegenseitig ausspielen will, sei an Folgendes erinnert:

Von allen beitragszahlenden Personen sind 54 Prozent Männer. Von allen AHV beziehenden Personen sind 53 Prozent Frauen. Sie erhalten 55 Prozent der Summe aller ausbezahlten Altersrenten. Die Summe der AHV-pflichtigen Einkommen wird zu 66 Prozent von Männern und zu 34 Prozent von Frauen aufgebracht.

Was sagen uns diese Vergleiche? Wir haben es hier mit einer Sozialversicherung zu tun; ein gegenseitiges Ausspielen von Mann und Frau ist nicht zielführend. Etwa so wenig zielführend wie die Behauptung, die AHV-Revision finde auf dem Buckel der Frau statt.