AfD auf der Siegerstrasse
Auch auf Platz 3 hinter CDU und SPD gehört die Partei damit zu den Gewinnern der Wahl in einem Bundesland, das lange Zeit als eine Art Bollwerk gegen Rechtsaussen galt. Jahrelang fuhr die AfD in NRW deutlich niedrigere Ergebnisse ein als in anderen westlichen Bundesländern wie etwa Niedersachsen, Bayern oder Hessen.
Dennoch: Die schlimmsten Befürchtungen der etablierten Parteien vor einem noch krasseren Durchmarsch der Rechtspopulisten haben sich den ersten Hochrechnungen zufolge nicht bewahrheitet. «Da ist einigen ein Stein vom Herzen gefallen», bilanzierte der Duisburger Politik-Professor Martin Florack im WDR-Interview.
Warum die etablierten Parteien trotzdem aufatmen können
Die AfD überholt wohl nicht die SPD, die laut Hochrechnung vom frühen Abend bei 21,9 Prozent lag.
Im Vergleich zum Bundestrend, wo die AfD in Umfragen der vergangenen Monate zwischen 22,5 und 26 Prozent landete, und im Vergleich zu mehreren anderen Bundesländern schneiden die Rechtspopulisten in NRW deutlich schlechter ab. «Wir sind bei aller Bescheidenheit das Kraftzentrum der Union in Deutschland», jubelte ein strahlender NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.
Die AfD überflügelt auch nicht ihr Ergebnis, das sie bei der Bundestagswahl in NRW eingefahren hatte (16,8 Prozent).
Die Sozialdemokraten fallen in ihrem einstigen Stammland mit 21,9 Prozent nicht unter die symbolisch wichtige 20-Prozent-Schmerzgrenze, sondern erleiden eher leichtere Einbussen - auch, wenn sie ihren historischen Tiefpunkt von 2020 (24,3) erneut unterschreiten. Das prognostizierte Desaster sei aber ausgeblieben, stellte Parteichefin Bärbel Bas fest.
Die CDU könnte als erneute Wahlgewinnerin mit 34,6 Prozent sogar leicht zulegen - durchaus entgegen der Annahme vieler Christdemokraten im Vorfeld der Wahl.
Damit setzen die Christdemokraten ihre 1999 eingeleitete Siegesserie bei Kommunalwahlen in NRW fort - und auch die Spitzen der Koalition im Bund können aufatmen.
Die Gruppe der Nichtwähler ist nicht «die grösste Partei» geworden: Rund 58,5 Prozent der Wahlberechtigten nahmen an der Abstimmung im einwohnerstärksten Bundesland teil, das mehr Wähler hat als alle ostdeutschen Länder zusammen.
Letzte grosse Wahl 2025
Immerhin ist das Votum im einwohnerstärksten Bundesland die letzte grosse Wahl in diesem Jahr in Deutschland und wird in der politischen Landschaft als erster Stimmungstest nach der vorgezogenen Bundestagswahl im vergangenen Februar gesehen. Wichtige Köpfe der Koalition im Bund kommen selbst aus NRW, darunter Kanzler Friedrich Merz (CDU) und SPD-Parteichefin Bas sowie Unionsfraktionschef Jens Spahn. Ein grösserer Absturz in ihrer politischen Heimat hätte auch sie politisch belastet.
Dementsprechend empfindet Spahn das Ergebnis «als Rückenwind für die Koalition in Berlin», warnt aber auch: «Der Zuwachs der extremen Rechten muss uns allen ein Weckruf sein: Armutsmigration, Sozialmissbrauch und zu oft gescheiterte Integration dürfen nicht tabuisiert werden.» Die Probleme müssten gelöst werden.
Grüne Träume geplatzt
Dagegen ist der Höhenflug der Grünen eindeutig beendet - ausgerechnet in dem Land, in dem sie mit Wüsts CDU eine gemeinsame Regierung bilden. Gemessen an ihrem Top-Ergebnis von 2020 mit 20 Prozent fallen die Grünen auf 12,4 Prozent deutlich zurück. Parteichef Felix Banaszak führt das auf einen veränderten Zeitgeist zurück: «Ökologische, progressive Politik hat es gerade schwer», sagte er im WDR. Wüst sieht die Arbeit in seiner Koalition dadurch jedoch nicht tangiert.
SPD gibt sich gefasst
SPD-Chef Lars Klingbeil hatte im Vorfeld noch vor einer «blauen Welle» gewarnt. Tatsächlich setzen seine Sozialdemokraten ihren bereits 1994 eingeleiteten kontinuierlichen Abwärtstrend bei Kommunalwahlen in NRW fort. Jetzt müsse die Partei darüber diskutieren, wie sie aus dem Tief wieder herauskomme, sagte Bas. Auch Landesparteichef Achim Post stellte selbstkritisch fest: «Die Rechtsextremen gehen gestärkt aus dieser Wahl hervor.»
Ob die AfD es am Ende auch schaffen wird, einen Bürgermeister-, Oberbürgermeister- oder Landratsposten zu erobern, wird sich zeigen - zumindest zeichnete sich das am frühen Wahlabend noch nirgendwo klar ab.
Angst vor einer Chaotisierung der Räte
Die spannendste Frage wird weit darüber hinaus zu beantworten sein: Wie viel Gewicht erringt die AfD in den Räten und inwieweit kann sie auch dort, wo sie nicht stärkste Kraft wird, die gewohnten Abläufe aufmischen? Manche Kommunalpolitiker befürchten eine «Chaotisierung» der ehrenamtlichen Ratsarbeit durch AfD-Politiker.
Der Aufstieg der AfD auch im tiefen Westen hat vor allem im sozial-ökonomischen Bereich einen fruchtbaren Nährboden: Das für das laufende Jahr prognostizierte Wirtschaftswachstum im Industrie- und Energieland NRW liegt noch unter dem Mini-Wachstum im Bundesdurchschnitt. Dafür liegt die Arbeitslosenquote darüber - nicht zuletzt in der Revierstadt Gelsenkirchen mit der bundesweit höchsten Quote von 13,3 Prozent im Juli.
Der Nährboden für die AfD
Was das praktisch bedeutet, kann man in teils heruntergekommenen Arbeitervierteln mancher Ruhrgebietsstädte sehen: Schrottimmobilien, Vermüllung, mangelhafte Lebensqualität. Das ist nur ein Ausschnitt der Realität des Ruhrgebiets, das auch seine Leuchttürme in der Wirtschaft und sehr lebenswerte Regionen hat. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es hier vielerorts mit der Integration von Ausländern nicht gut klappt und die Politik darauf aus Sicht vieler Bürger keine befriedigenden Antworten gegeben hat.
Das lässt sich auch aus einer repräsentativen Umfrage lesen, die das Forschungsinstitut Infratest dimap kurz vor der Wahl für den WDR erhoben hatte: Die Hälfte der Befragten äusserte sich unzufrieden über die Integration von Ausländern. Schlechte Noten gab es darüber hinaus für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum und den Zustand von Strassen, Brücken und Radwegen.
Dementsprechend sieht der Landesparteichef der AfD, Martin Vincentz, den Kurs seiner Partei bestätigt: «Vor allem im Ruhrgebiet kann man die Unzufriedenheit der Menschen mit den Zuständen dort geradezu aus der Luft greifen.»
(AWP)