Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hatte entschieden, dass er bei dem von Boehringer entwickelten Präparat Spevigo zur Behandlung akuter Schübe von generalisierter pustulöser Psoriasis - einer seltenen Hauterkrankung - keinen Zusatznutzen im Vergleich zu anderen Therapien sieht. In Folge dessen wird Spevigo Boehringer zufolge von diesem Dienstag (29. August) an nicht mehr in Deutschland erhältlich sein. Den GBA-Beschluss will das Unternehmen gerichtlich anfechten. Der Ausschuss selbst verteidigte am Dienstag sein Vorgehen.
Der GBA ist verpflichtet, für neu zugelassene Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen nach Markteintritt eine Nutzenbewertung durchzuführen. Geprüft wird, ob das Medikament gegenüber der Standardtherapie Vorteile hat. Das Ergebnis ist Grundlage für die Entscheidung, wie viel die gesetzliche Krankenversicherung für das neue Arzneimittel zahlt. Ob Ärzte ein Medikament verordnen, ist nicht von der Bewertung abhängig. Sehr wohl beeinflusse die Bewertung aber den Stellenwert eines Mittels in der Gesundheitsversorgung, sagte Nikolaus.
Die pustulöse Psoriasis betrifft in Deutschland nach Angaben von Boehringer nicht einmal 300 Patienten. Entsprechend schwer sei die Realisierung klinischer Studien, sagte Nikolaus. Diese könnten gar nicht all die Parameter liefern, die der GBA verlange. Es brauche mehr Flexibilität bei der Bewertung. «Innovationen sind in Deutschland oft Opfer starrer Prozesse und Vorgaben.» Boehringer verweist darauf, dass Spevigo in den USA und Europa zugelassen sei, in Frankreich etwa sei auch ein Zusatznutzen erkannt worden.
In dem GBA-Beschluss zu Spevigo vom 20. Juli 2023 heisst es, ein Zusatznutzen sei nicht belegt, es lägen keine bewertbaren Daten vor. Nikolaus forderte, der GBA müsse verpflichtet werden, verfügbare Studien mit einzubeziehen - auch wenn diese nicht alle Parameter grosser Studien lieferten. Auch komme die Perspektive der Patienten zu kurz. Bei der Nutzenbewertung müssten neben medizinischen Fachgesellschaften Patientenverbände stärker eingebunden werden. Deutschland verliere durch «inadäquate Nutzenbewertungen» von Innovationen insgesamt weiter an Wettbewerbsfähigkeit.
Von Seiten des GBA hiess es, in den Prüfungen zum Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels würden immer alle Studien einbezogen, die von dem Hersteller vorgelegt würden. «Bei Spevigo war die im Dossier des Herstellers vorgelegte Studie allerdings ungeeignet, daraus Aussagen zum Zusatznutzen abzuleiten», sagte der unparteiische Vorsitzende Josef Hecken. Der GBA habe sich ausführlich mit der Studie befasst, habe letztlich aber zu keinem anderen Ergebnis kommen können, da die Studie insgesamt zu kurz gewesen sei.
Aussagekräftige Studien seien auch bei kleinen Patientengruppen möglich, das habe die Pharmaindustrie schon gezeigt. Der GBA prüfe auch, ob ein Arzneimittel aus Sicht der Patienten die Lebensqualität verbessere. In dem konkreten Fall habe auch die Patientenvertretung dem Beratungsergebnis zugestimmt. Die Entscheidung, das Mittel vom Markt zu nehmen, werde aus wirtschaftlichen Interessen getroffen. «Das ist legitim, aber Grund ist letztlich das Fehlen aussagekräftiger Studien und keinesfalls eine zu rigide Prüfpraxis des Gemeinsamen Bundesausschusses», sagte Hecken.
Auch der GKV-Spitzenverband, der die Interessen der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen vertritt, verteidigte die Nutzenbewertung. Sie solle früh mehr Transparenz zum therapeutischen Zusatznutzen schaffen, «um eine an Qualitätsaspekten ausgerichtete Versorgung zu sichern». Auch der Verband hält bei Spevigo einen Zusatznutzen für nicht belegt. «Im weltweiten Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern, in denen die Bevölkerung am frühesten und umfänglichsten Zugang zu neu zugelassenen Arzneimitteln hat», sagte Sprecher Jens Ofiera. Die frühe Nutzenbewertung leiste einen wichtigen Beitrag zur qualitativen Verbesserung der Arzneimittelversorgung./chs/DP/jha
(AWP)