Im Strafprozess um die milliardenschwere Pleite des Zahlungsabwicklers Wirecard sorgt ein Brief des untergetauchten Ex-Vorstands Jan Marsalek für Streit. Während die Verteidiger des angeklagten früheren Chefs Markus Braun in der Verhandlung des Landgerichts München am Mittwoch eine Verlesung des bisher nicht veröffentlichten Schreibens an die Strafkammer forderten, lehnte der Vorsitzende Richter Markus Födisch dies vorläufig ab. Er sehe kaum Möglichkeiten, den Brief in die Gerichtsverhandlung einzuführen, sagte Födisch ohne nähere Begründung. Darüber entscheiden werde er zu einem späteren Zeitpunkt.

Brauns Anwälte Alfred Dierlamm und Nico Werning protestierten, da Marsaleks Brief wesentliche Angaben zu Brauns Entlastung enthalte. "Wollen Sie das Schreiben in der Schublade verschwinden lassen?", rief Dierlamm. Dies mündete in minutenlange heftige Wortgefechte zwischen den Anwälten, dem Richter und Staatsanwältin Inga Lemmers, worauf Födisch die Sitzung unterbrach und mit den übrigen Richtern den Saal verließ. Wenige Minuten später setzte Födisch die Verhandlung fort und erklärte, er werde Brauns Anwälten im späteren Tagesverlauf das Wort für einen Beweisantrag erteilen. Zunächst solle wie geplant die frühere Produktvorständin Susanne Steidl als Zeugin vernommen werden.

Marsalek war beim Zusammenbruch von Wirecard vor drei Jahren untergetaucht und wird international gesucht. Er galt als führender Kopf bei Wirecard und war dort für das Asien-Geschäft verantwortlich. Wirecard war im Juni 2020 zusammengebrochen, als aufflog, dass auf Treuhandkonten in Asien 1,9 Milliarden Euro fehlten. Die Staatsanwaltschaft wirft Braun und zwei weiteren Angeklagten Bilanzfälschung und großangelegten Betrug vor. Demnach sollen die Manager Milliardenerlöse von so genannten Drittpartnern erfunden haben, um den Konzern schönzurechnen. Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf Angaben des angeklagten Ex-Managers Oliver Bellenhaus, der als Kronzeuge gilt. Braun und seine Anwälte hingegen haben erklärt, dass das Geld existiert habe und hinter Brauns Rücken beiseitegeschafft worden sei.

Mit dem Brief habe sich Marsaleks Anwalt bereits vor einigen Wochen im Namen seines Mandanten an das Gericht gewandt, sagten mehrere mit dem Schreiben vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Marsalek lasse darin erklären, das Drittpartnergeschäft habe existiert, und Bellenhaus habe in mehreren Punkten nicht die Wahrheit gesagt. Die "Wirtschaftswoche" hatte zuerst über das Schreiben berichtet. Von Marsaleks Verteidiger war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Gericht und Staatsanwaltschaft bestätigten lediglich die Existenz des Schreibens.

(Reuters)