Der Bundesrat will die angeschlagene Schweizer Rüstungsindustrie vor dem Untergang retten. Von einer «Neuausrichtung der Rüstungspolitik» sprach die Landesregierung am Freitag in einer Mitteilung. Das nachhaltig verschlechterte Sicherheitsumfeld in Europa erfordere eine rasche Reaktion. «Wir müssen sicherstellen, dass unsere Armee rechtzeitig versorgt wird», sagte Verteidigungsminister Martin Pfister in Bern vor den Medien.

Als kleines Land, das keinem Verteidigungsbündnis angehört, habe die Schweiz auf dem internationalen Rüstungsmarkt keine Priorität und ist von längeren Lieferzeiten und erhöhten Preisen betroffen. Zudem werde die Schweiz bei europäischen Partnern nicht mehr als zuverlässige Lieferantin von Rüstungsgütern wahrgenommen, sagte Pfister.

«Die Schweiz droht ihre Rüstungsindustrie aufgrund eines Nachfragerückgangs zu verlieren», schrieb das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) in einem Faktenblatt. Dabei sei eine gute eigene Industrie «entscheidend als Türöffner für internationale Rüstungskooperationen», sagte Pfister. Könne die Schweiz keinen Beitrag zur internationalen Sicherheit leisten, verliere sie den Zugang zu sicherheitsrelevanten Gütern und Dienstleistungen.

Aktionsplan mit 23 Massnahmen

Vor diesem Hintergrund ist die rüstungspolitische «Vision 2035» des Bundesrates zu verstehen. Darin ist von einer modernen und verteidigungsfähigen Armee die Rede, die durchhaltefähig, resilient und kooperationsfähig sei - versorgt durch eine zukunftsfähige und international vernetzte Schweizer Rüstungsindustrie.

Die Strategie definiert fünf Schwerpunkte. Es gehe darum, die inländische Industrie sowie sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien zu stärken, internationale Rüstungskooperationen auszubauen, die Zusammenarbeitsfähigkeit der Armee zu erhöhen und neue Technologien schneller, flexibler und günstiger zu beschaffen, sagte Pfister.

Ein entsprechender Aktionsplan enthält 23 konkrete Massnahmen. Beispielsweise sollen künftig möglichst 60 Prozent aller Rüstungsbeschaffungen in der Schweiz erfolgen, weitere 30 Prozent in Europa. Dabei handle es sich um eine Zielgrösse, hielt Rüstungschef Urs Loher fest. Rüstungsbestellungen in den USA seien weiterhin möglich.

«Wir werden unsere Beschaffungspläne mit jenen der Nachbarländer abstimmen und diese priorisieren», sagte Pfister. Die Erhöhung der internationalen Kooperationsfähigkeit ist für ihn «keine Option mehr, sondern eine strategische Notwendigkeit». Denn auch in Zukunft bleibe die Schweiz abhängig vom Ausland.

«Die Lage ist dringlich»

Der Bundesrat will auch die Zusammenarbeit mit Schweizer Hochschulen, Start-ups und KMU verstärken. Bis 2030 sollen zwei Prozent des Armeebudgets an die hiesige Forschung und Entwicklung fliessen - heute liegt dieser Anteil unter einem Prozent.

«Die Lage ist dringlich», sagte Pfister. Andere Staaten seien daran, ihre Rüstungsindustrie konsequent auszubauen. «Die Schweiz darf nicht weiter ins Hintertreffen geraten.» Im Falle eines bewaffneten Angriffs solle sie sich so weit wie möglich selbstständig schützen und verteidigen können.

Der neue Verteidigungsminister appellierte auch an das Parlament und die Industrie selbst, «gemeinsam Verantwortung zu übernehmen». In der abgelaufenen Sommersession hatte der Ständerat eine Vorlage zur Lockerung von Kriegsmaterialexporten gutgeheissen. Als nächstes ist der Nationalrat am Zug.

Vonseiten des Bundes sollen nun mehrere Departemente die rüstungspolitische Strategie umsetzen. Gefragt nach der Rolle der Ruag in diesem Konstrukt sagte Loher, dass diese weiterhin als «strategische industrielle Reserve» vorgesehen sei und dabei an Wichtigkeit gewinnen dürfte.

Kritik von Armeegegnern

In einer Medienmitteilung vom frühen Freitagabend äussert die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa) Kritik. Die vorgestellte Strategie stamme direkt aus der Feder der Rüstungsindustrie und habe mit echter Sicherheitspolitik nichts zu tun. «Noch mehr Exporte durch gelockerte Gesetze bringen noch mehr Tote durch Schweizer Kriegsmaterial in aller Welt. Bundesrat Pfister knickt komplett vor der Rüstungslobby ein», liess sich Gsoa-Sekretär Joris Fricker im Communiqué zitieren.

Weiter sei der Bundesrat widersprüchlich. Obwohl er sich von der Abhängigkeit von den USA lösen wolle, ziehe er den Kauf des F-35-Kampfjets weiter. In Anbetracht des umgangenen Volksentscheides von 2021 und einer von 42'500 Menschen unterschriebenen Petition, sei dies mutlos, hiess es weiter.

(AWP/cash)