Unter dem Druck regierungskritischer Proteste und einer schwächelnden Wirtschaft verkündet China seine bislang umfassendste Abkehr von der strikten Null-Covid-Politik. Infizierte mit mildem Verlaufen dürfen sich künftig auch zu Hause isolieren und auskurieren, wie die Nationale Gesundheitskommission am Mittwoch bekanntgab. Sollte sich der Zustand verschlechtern, könnten sich die Betroffenen selbst in ausgewiesene Kliniken begeben. Auch soll es keine Tests mehr geben für Personen, die innerhalb des Landes reisen. Die Ankündigung folgte, nachdem Präsident Xi Jinping am Dienstag eine Sitzung des Politbüros der Kommunistischen Partei geleitet hatte.

Viele Chinesen und auch Ökonomen bejubelten die Lockerungen. "Es ist an der Zeit, dass unser Leben zur Normalität und China in die Welt zurückkehrt", schrieb ein Nutzer auf Weibo, dem chinesischen Pendant zum Kurznachrichtendienst Twitter. "Diese Änderung der Politik ist ein großer Schritt nach vorne", sagte der Chefökonom bei Pinpoint Asset Management, Zhiwei Zhang. "Ich gehe davon aus, dass China seine Grenze spätestens Mitte 2023 wieder vollständig öffnen wird." Die Regierung reagiert mit der Lockerung auf den wachsenden Unmut in der Bevölkerung, der in Demonstrationen mündete. Dabei wurde auch "Nieder mit der Kommunistischen Partei Chinas, nieder mit Xi Jinping" skandiert. Viele Deomnstanten zeigten ein weißes Blatt Papier. Damit wollten sich die Protestierenden einer Zensur oder Verhaftung wegen verbotener Parolen entziehen.

Bislang hatte China nach positiven Corona-Tests ganze Orte und Stadtteile abgesperrt mit der Folge, dass es vermehrt zu Arbeits- und Produktionsausfällen kam, was wiederum die weltweiten Lieferketten beschädigte. Das soll künftig vermieden werden - auch, um weiteren Schaden von der nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt abzuwenden. Ökonomen erwarten für das Gesamtjahr nur ein Wachstum von knapp über drei Prozent. Das Regierung hatte dagegen ein Ziel von rund 5,5 Prozent ausgegeben.

«Bürokratie überwinden»

Der stärkste Einbruch der chinesischen Exporte seit Beginn der Corona-Pandemie vor mehr als zweieinhalb Jahren schürt die Sorge vor einem Konjunkturabschwung. Die Ausfuhren sanken im November um 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie aus den Daten der Zollbehörde hervorgeht. Das ist der schärfste Rückgang seit Februar 2020. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit einem Minus von 3,5 Prozent gerechnet. Die Importe gaben sogar noch stärker nach: Sie fielen um 10,6 Prozent niedriger aus als im November 2021. Das war der stärkste Rückgang seit Mai 2020.

Ausländische Unternehmen in der Volksrepublik hoffen, dass die Reisebeschränkungen gelockert werden. "Wir brauchen hier ein Geschäftsumfeld, das so berechenbar ist, dass die Unternehmen zu normalen Geschäftsabläufen zurückkehren können", sagte der Vorsitzende der amerikanischen Handelskammer in China, Colm Rafferty. Der Themenpark Disneyland in der Metropole Shanghai will bereits an diesem Donnerstag wieder seine Pforten für Besucher öffnen.

Eine steigende Arbeitslosigkeit - besonders unter jungen Chinesen - hat zum wachsenden Unmut in der Bevölkerung über die Corona-Politik der Regierung beigetragen. Wegen der wochenlangen Abriegelung von Städten verdienten viele Menschen kein Geld mehr, weswegen sie in den vergangenen Wochen auf die Straße gingen.

Künftig sollen Bereiche mit hohem Infektionsrisiko nach Gebäude, Einheit, Etage und Haushalt genau definiert werden. Die dürfen nicht mehr willkürlich auf ganze Wohnanlagen und Gemeinden ausgedehnt werden, erklärte die Gesundheitsbehörde. Sie forderte die Kommunen auf, einfache Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen, "entschlossen zu korrigieren" und "Formalismus und Bürokratie" zu überwinden.

Infektionszahlen sinken

Mittlerweile sinkt die Zahl der täglichen Ansteckungen weiter. Das Land verzeichnete nach Angaben der Gesundheitsbehörde 25.321 Neuinfektionen nach 28.062 am Vortag. 5046 der Fälle seien symptomatisch und 23.016 seien asymptomatische Infektionen, die in China separat gezählt werden. Das Land meldete keinen weiteren Todesfall in den vergangenen 24 Stunden im Zusammenhang mit dem Virus. Die Zahl der Corona-Toten in China verharrt damit bei 5235.

Viele Chinesen decken sich derzeit vorsorglich mit Medikamenten und Lebensmitteln ein. Behörden im ganzen Land warnen deshalb vor knappen Lieferungen und Preistreiberei von Einzelhändlern. "Kaufen Sie bitte rational, kaufen Sie nach Bedarf und stocken Sie sich nicht blind auf", wurde die städtische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde von Peking in den staatlichen "Beijing Evening News" zitiert. In Pekings gehobenem Bezirk Chaoyang, in dem sich die meisten ausländischen Botschaften und Firmenzentralen befinden, gingen einem Anwohner zufolge die Vorräte einiger Arzneimittel zur Neige. "Letzte Nacht waren die Medikamente vorrätig, und jetzt sind viele von ihnen vergriffen", sagte Zhang, ein 33-jähriger Pädagoge, der nur seinen Nachnamen nannte. "Da die Fälle im Distrikt Chaoyang derzeit ziemlich hoch sind, ist es besser, sich mit einigen Medikamenten einzudecken."

Der Anstieg der Nachfrage hat die Aktienkurse von Arzneimittelherstellern in die Höhe getrieben - etwa die des Hustensaftherstellers Guizhou Bailing sowie von Xinhua Pharmaceutical, das 40 Prozent des gesamten in China verkauften Schmerzmittels Ibuprofens herstellt.

Nach den regierungskritischen Protesten hat die chinesische Regierung das Tempo bei den Corona-Impfungen erhöht. So wurden die Bemühungen verstärkt, über 80-Jährige zu immunisieren. Gleichzeitig werde der Abstand zwischen der Grund- und der Auffrischungsimpfung auf drei Monate verkürzt. Unter anderem sollen mobile Impfteams losgeschickt werden.

(Reuters)