Zur Halbzeit der Ampelkoalition ist der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025 bereits voll entbrannt und Robert Habeck hat die Initiative im Rennen um die Kanzlerkandidatur ergriffen.
Seine Eröffnungssalve feuerte der grüne Wirtschaftsminister Ende letzten Monats ab, als er eine Lockerung der Haushaltsdisziplin forderte. Das war ein direkter Angriff auf Finanzminister und Freidemokrat Christian Lindner, mit dem er im Dauerclinch liegt.
In dieser Woche legte er mit einem Ausflug in die Aussenpolitik nach, eine Domäne, die normalerweise Bundeskanzler Olaf Scholz oder Habecks grüner Parteirivalin, Aussenministerin Annalena Baerbock, vorbehalten ist. Es war eine kommunikative Meisterleistung.
Ein zehnminütiges Video des Vizekanzlers, in dem er sich zum Antisemitismus in Deutschland und dem Nahostkonflikt äussert, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den sozialen Medien und erntete Lob aus dem gesamten politischen Spektrum — selbst der Bild-Zeitung, einer notorischen Kritikerin Habecks.
Der Doppelschlag kam überraschend, bedenkt man, dass gerade Habeck wiederholt für mehr Einigkeit in der zerrissenen Dreiparteienkoalition plädiert hatte. Erst wenige Tage zuvor hatten sich die Parteichefs getroffen, um über die Prioritäten für die zweite Hälfte ihrer Amtszeit zu beraten — und darüber, wie der öffentliche Streit beendet werden kann, der dem Ansehen der Regierung bei den Wählern geschadet hat.
Habeck steige in die haushaltspolitische Debatte ein, wohl wissend, dass dies eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf 2025 sein werde, sagt Cornelia Woll, Präsidentin der Berliner Hertie School und Professor of International Political Economy.
«Robert Habeck ist sich bewusst, dass er sich aktuell nur schwer durchsetzen kann», sagte Woll gegenüber Bloomberg. «Die Zielgerade für den Schlagabtausch ist somit klar benannt: die Bundestagswahl 2025.»
Uneinigkeit in der Regierung und ein Gefühl der Instabilität haben den Weg für den Aufstieg der AfD geebnet, die in den Meinungsumfragen auf den zweiten Platz hinter der Union geklettert ist. Zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl zeichnet sich Habeck nun als potenzieller Herausforderer von Amtsinhaber Scholz und dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ab.
Habeck regt zum Nachdenken über die Schuldenbremse an
Habeck wiederholte am Freitag in einem Bloomberg-Interview seine Argumente für expansivere Staatsausgaben, räumte aber gleichzeitig ein, dass jeder Versuch, die Schuldenbremse zu lockern, in der jetzigen Koalition keinen Erfolg haben werde. Ohnehin wäre dafür eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich.
«Denken sollte in der Politik erlaubt sein», sagte Habeck im Interview mit Anna Edwards von Bloomberg Television. «Das Gas aus Russland ist weg, China ist ein Konkurrent, wir sehen, dass es wieder Kriege gibt — da ist es notwendig zu fragen, ob unsere Haushaltsregeln, unsere europäischen Regeln, unser föderales System richtig justiert sind.»
Der 54-Jährige aus dem schleswig-hosteinischen Lübeck machte bei der letzten Bundestagswahl Platz für Baerbock als Kanzlerkandidatin, die eine zeitweise Führung in Meinungsumfragen jedoch nicht ins Ziel retten konnte. Bei der nächsten Wahl dürfte Habeck nun seine Chance bekommen.
Um seine Chancen zu maximieren, muss er einen Weg finden, weitere zwei Jahre der aktuellen Koalition zu überstehen. Dabei werden seine Ambitionen, Steuergeld in die Wirtschaft zu pumpen, durch das Nein der Koalitionspartner und die Ausgabenbeschränkungen der Schuldenbremse begrenzt.
Als politische Analysten vor der Wahl 2021 Koalitionsmöglichkeiten durchspielten, schien es schwer vorstellbar, dass Habeck und FDP-Chef Lindner in derselben Regierung koexistieren könnten. Zwei Jahre nach diesem Experiment ist die Kluft zwischen ihnen offenkundig.
Habeck will staatliche Eingriffe zur Dekarbonisierung der Wirtschaft und Milliarden Euro an Subventionen, um Zukunftsbranchen wie die Halbleiterindustrie nach Deutschland zu locken und die Deindustrialisierung durch hohe Energiekosten aufzuhalten.
Mit der Unterstützung von Kanzler Scholz hat Lindner auf die Wiederinkraftsetzung der Schuldenbremse gedrängt, um die Wumms- und Doppelwumms-Ära grosszügiger öffentlicher Ausgaben während Pandemie und Energiekrise zu beenden. Er betont immer wieder, dass solide Finanzen die Grundlage für den Wohlstand in Deutschland sind — und ein Stabilitätsanker für die gesamte Europäische Union.
«Grundsätzlich ist es nicht ratsam, alle Veränderungsprozesse am grünen Tisch mit staatlichen Plänen steuern und über Subventionen finanzieren zu wollen», so Lindners Erwiderung auf Habeck in einem Meinungsbeitrag im Spiegel. «Wir sollten stärker auf marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb und Erfindergeist setzen.»
Während sich diese ideologische Schlacht am Berliner Kabinettstisch abspielt, dümpelt die Wirtschaft am Rande der Rezession, Führungskräfte verzweifeln daran, ein klares politisches Signal aus Berlin zu erhalten, und die AfD sammelt Unterstützung für einen Angriff bei den bevorstehenden Regional- und Europawahlen.
Lindner und die FDP sind sich der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands bewusst, aber sie argumentieren, dass mehr Schulden die Situation noch verschlimmern könnten. Ihre Sorge ist, dass die Investoren zur Überzeugung kommen könnten, dass die Regierung die Haushaltsdisziplin aufgibt, was zu einem Anstieg der Kreditkosten führen und die Wirtschaft noch tiefer in ein Loch stürzen könnte.
«Wir halten uns an die Regeln oder wir ändern sie gemeinsam», sagte Habeck am Freitag gegenüber Bloomberg. «Aber das wird nicht passieren, denke ich, nicht beim Haushalt.»
(Bloomberg)