Während der deutsche Handel mit Osteuropa boomt, ist er mit Russland in den ersten sieben Monaten des Jahres fast zum Erliegen gekommen. Das geht aus den Zahlen vor, die der Ost-Ausschusses der Wirtschaft am Dienstag vorgelegt hat. Danach nahm der Warenverkehr mit Russland von 35 Milliarden Euro im Vergleichszeitraum 2022 auf nur noch 8,4 Milliarden Euro ab. Zum Vergleich: Die Importe und Exporte mit Polen stiegen im selbst Zeitraum um 4,8 Prozent auf 99,9 Milliarden Euro. Im Handel mit Ungarn und Rumänien gab es Zuwächse um mehr als zehn Prozent. Der Warenaustausch mit der Ukraine nahm um 29,3 Prozent zu.
Die Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Cathrina Claas-Mühlhäuser, rief zu Investitionen in der Ukraine auf. Es sei gut, dass die Bundesregierung Investitionsgarantien über 280 Millionen Euro für 14 Projekte übernommen habe. «Wir brauchen dringend eine Transporthaftpflichtversicherung», fügte sie hinzu. Gut wäre zudem, wenn auch der ukrainische Anteil an einem Geschäft durch Investitionsgarantien abgesichert werden könnte. Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende forderte die ukrainische Regierung auf, verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen zu schaffen.
Der Zusammenbruch des Russland-Handels liegt vor allem am Rückgang der Importe um 89 Prozent, die wegen des Wegfalls russischer Gaslieferungen auf 2,7 Milliarden Euro sanken. Aber auch die deutschen Ausfuhren gingen um 39,5 Prozent auf 5,6 Milliarden Euro zurück.
Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende verwies darauf, dass nicht alle Sektoren der Wirtschaft mit EU-Sanktionen belegt seien. Noch in Russland tätige deutsche Firmen dürften deshalb nicht pauschal kritisiert werden. Viele Unternehmen hätten ihre Aktivitäten heruntergefahren, könnten aber nicht einfach den Markt verlassen. Sie erklärte, dass der Handel mit bestimmten Rohstoffen und humanitären Gütern auch im Interesse der EU-Staaten sei. Auch ein kompletter Rückzug europäischer Banken aus Russland wäre kontraproduktiv. «Fakt ist, dass sicher viele Unternehmen, die gesagt haben, sie gehen, nicht gehen können», sagte Class-Mühlhäuser mit Hinweis auf Vorgaben der russischen Regierung.
Die OECD sagt Russland 2023 und 2024 statt der bisher erwarteten Schrumpfung nun Wachstumsraten von 0,8 und 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts voraus. Es gebe eine gewisse Stabilisierung, weil die Regierung in Moskau auf eine Kriegswirtschaft umgestellt habe mit hohen staatlichen Ausgaben, sagte OECD-Chefökonomin Clare Lombardelli. Mittelfristig werde Russland grössere Probleme bekommen, weil viele Arbeitskräfte das Land verliessen und der Zugang zu westlichen Technologien verloren gehe.
Ost-Ausschluss gegen Generalverdacht
Angesichts der Debatte um Sanktionsumgehungen kritisierte die Ost-Ausschuss-Vorsitzende einen Generalverdacht gegen zentralasiatische Länder. Der Handel dieser Länder mit Deutschland habe auch deshalb so stark zugenommen, weil das Geschäft nun nicht mehr über Russland abgewickelt werde. Zudem erlebe Zentralasien eine Sonderkonjunktur, weil sich Geschäft aus Russland zu ihnen verlagere. Hintergrund der Äusserung ist, dass der Handel etwa mit Kirgistan etwa um 386 Prozent zugenommen hat. Es gibt den Verdacht, dass sanktionierte Waren über das zentralasiatische Land nach Russland geliefert werden. Auch der Handel mit dem mit Russland verbündeten Belarus ist - allerdings auf einem niedrigen Niveau - in den ersten Monaten 2023 dagegen gestiegen.
(Reuters)