WAS WIRD IM EPIDEMIENGESETZ GEREGELT?
Das Epidemiengesetz regelt, wie und durch wen übertragbare Krankheiten erkannt, überwacht, verhütet und bekämpft werden. Es ist nach einer Totalrevision im Januar 2016 in Kraft getreten. Insbesondere die Corona-Pandemie offenbarte, dass der gesetzliche Rahmen für den Schutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten weiter verbessert werden muss. So zeigten sich während der Covid-19-Krise Unklarheiten in Bezug auf die Übergänge zwischen der normalen, der besonderen und der ausserordentlichen Lage. Ferner erwiesen sich die Pandemievorbereitung als zu unbestimmt, die Kostenübernahme für Impfungen als zu komplex und Regeln zur Digitalisierung als zu lückenhaft. Das zeigten verschiedene Untersuchungen im Nachgang zur Pandemie. Der Bundesrat erkannte den Handlungsbedarf an.
WAS UMFASST DIE BOTSCHAFT DES BUNDESRATS?
Mit der am Mittwoch verabschiedeten Botschaft unterbreitet der Bundesrat dem Parlament zahlreiche Änderungen des Epidemiengesetzes. Die Vorlage nimmt Anliegen aus dem Parlament und von externen Analysen auf und übernimmt bestimmte Elemente des Covid-19-Gesetzes. Zur Vorlage gehört auch ein vierjähriger Zahlungsrahmen für Beiträge an Programme internationaler Organisationen zum Schutz vor übertragbaren Krankheiten. Konkret soll der Bund neu Beiträge leisten können für Projekte, die direkt dazu beitragen, Gesundheitsgefährdungen in der Schweiz zu reduzieren. Schliesslich geht es um einen vierjährigen Verpflichtungskredit für Finanzhilfen für die Entwicklung antimikrobieller Substanzen.
WAS IST DAS ZIEL DES BUNDESRATS?
Namentlich soll die Koordination zwischen Bund und Kantonen verbessert werden. Generell sollen Instrumente zur Verhütung von Gefährdungen der öffentlichen Gesundheit gestärkt werden. «Es ist zu erwarten, dass die Revision zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit beiträgt», heisst es in der Botschaft des Bundesrats. Laut Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider geht es auch um das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen: «Wir wollen die demokratische Legitimation allfälliger Krisenmassnahmen stärken», sagte sie in Bern vor den Medien. Anne Lévy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG), hielt fest, dass im Krisenfall mehr zusammen diskutiert werden müsse.
WAS MACHEN DIE BEHÖRDEN IM KRISENFALL?
Angepasst werden soll unter anderem das Eskalationsmodell mit normaler, besonderer und ausserordentlicher Lage. In der normalen Lage soll der Bundesrat neu - bei besonderer Gefährdung - Massnahmen in öffentlichen Verkehrsmitteln anordnen können. Das kann zum Beispiel eine Maskentragpflicht sein. «Diese Massnahmen müssen immer verhältnismässig sein», sagte Baume-Schneider. Die besondere Lage soll die Landesregierung selbst nach Anhörung der Kantone und der zuständigen Parlamentskommissionen formal feststellen. Sie soll gleichzeitig die notwendigen Entscheide bezüglich Strategie und Organisation zur Bekämpfung der Gefährdung treffen. Neu will der Bundesrat den Kantonen Vorbereitungen auf eine besondere Lage vorschreiben. In der ausserordentlichen Lage - der dritten und höchsten Stufe - soll der Bundesrat per Notrecht Massnahmen anordnen können.
GIBT ES ÄNDERUNGEN BEI DEN IMPFREGELN?
Nein, grundsätzlich nicht. Die Möglichkeit für ein Impfobligatorium will der Bundesrat nicht ausweiten. Das Epidemiengesetz sieht weiterhin ein Impfobligatorium vor, aber nur für bestimmte Gruppen und unter der Voraussetzung, dass die Bevölkerung nicht mit milderen und anderen Massnahmen geschützt werden kann. Ein behördliches Impfobligatorium wurde auf Bundesebene noch nie ausgesprochen. Eine Impfung ohne Zustimmung der betroffenen Person ist künftig wie heute nicht möglich. Der Bundesrat will aber den einfachen Zugang zum Impfen und das Monitoring über Durchimpfungen verbessern. Ins Epidemiengesetz aufgenommen werden sollen auch die Rechtsgrundlagen zu Zertifikaten, um Impfungen fälschungssicher nachzuweisen. Einschränkungen für Ungeimpfte, am öffentlichen Leben teilzunehmen, sind möglich. Sie dürfen aber nur ausnahmsweise angeordnet werden, um strengere Massnahmen wie zum Beispiel Schliessungen und Veranstaltungsverbote zu vermeiden.
WELCHE ROLLE SOLL DIE DIGITALISIERUNG SPIELEN?
Für ein effizientes Meldewesen und Monitoring sollen die Digitalisierung und das Datenmanagement im Gesundheitswesen vorangetrieben und verbindlich geregelt werden. Präzisieren will der Bundesrat auch die Vorgaben zur Überwachung und Früherkennung. Zuständig dafür sein soll weiterhin das Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Das BAG wird keine Meldungen mehr per Fax entgegennehmen», sagte Baume-Schneider. Meldungen von Fachpersonen und Institutionen des Gesundheitswesens sollen künftig fast ausschliesslich an eine zentrale Stelle, in der Regel an das nationale Informationssystem «Meldungen von übertragbaren Krankheiten» erfolgen. Der Bundesrat soll nicht nur Betreiber von Kläranlagen, sondern auch andere Institutionen und Betriebe verpflichten können, an der Überwachung des Abwassers mitzuwirken.
WAS WIRD ZU DEN FINANZHILFEN FÜR DIE WIRTSCHAFT GEREGELT?
In der Vernehmlassung stellte der Bundesrat zwei Varianten zur Diskussion zu Finanzhilfen an wegen Schutzmassnahmen finanziell gebeutelte Unternehmen. Die erste Option war ein Verzicht auf eine Regelung im Epidemiengesetz und spezifische Regelungen bei Notwendigkeit. Die Landesregierung hat sich nun für die zweite Variante entschieden: Beeinträchtigen die Massnahmen den Umsatz von Unternehmen erheblich und droht eine schwere Rezession der Gesamtwirtschaft, soll der Bundesrat rückzahlbare Liquiditätshilfen zur Unterstützung der Unternehmen vorsehen können.
WIE SOLL DIE MEDIZINISCHE VERSORGUNG SICHERGESTELLT WERDEN?
Dem Bund soll es möglich sein, in die Versorgung einzugreifen. Übernommen werden sollen weiter Bestimmungen aus dem Covid-19-Gesetz, wo es zum Beispiel um die Meldepflicht zum Bestand von medizinisch wichtigen Gütern oder den Kapazitäten der Gesundheitsversorgung in den Kantonen geht. Vereinfachen will der Bundesrat die Regeln zur Finanzierung von wichtigen medizinischen Gütern. Der Bund soll auch bei künftigen Pandemien die Kosten für Impfstoffe, Tests und Arzneimittel übernehmen können.
GEHT ES NUR UM PANDEMIEN UND EPIDEMIEN?
Nein. Im Epidemiengesetz verankern will der Bundesrat auch die Vorbeugung und Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen und Spitalinfektionen, die teilweise ebenfalls von gegen Antibiotika resistenten Keimen verursacht werden. Der Bundesrat will Spitäler, Kliniken und andere Gesundheitseinrichtungen künftig verpflichten können, Massnahmen zur angemessenen Anwendung von Antibiotika umzusetzen. Der Bund soll auch den Antibiotikaverbrauch in Spitälern erfassen. Ebenso soll er die Entwicklung neuer antimikrobieller Substanzen und deren Bereitstellung auf dem Schweizer Markt finanziell fördern können.
WAS KOSTET DAS GANZE?
Der Bund erhält mit der Revision neue Aufgaben, die zu geplanten Mehrausgaben von 26,8 Millionen Franken pro Jahr im Normalbetrieb führen werden. Hinzu kommen Mittel für Finanzhilfen. Für die Kantone wird es mehr Aufwand für die Kontrolle des Vollzugs von Bundesvorgaben geben, der insgesamt maximal 1,2 Millionen Franken pro Jahr betragen dürfte. Auch auf gesellschaftliche Akteure - vor allem auf die Leistungserbringer im Gesundheitswesen - werden gemäss der Botschaft des Bundesrats Mehrkosten zukommen.
WAS SAGEN DIE KANTONE DAZU?
Laut Lukas Engelberger, Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), wurden die Anliegen der Kantone im Wesentlichen aufgenommen. «Die Vorlage erlaubt uns, aus der Krise zu lernen», sagte er in Bern vor den Medien. In künftigen Krisen brauche es schnellere Massnahmen auf Bundesebene, ohne dass die Kantone ihre Verantwortung verlören. Die Revision schärfe die Zuständigkeiten dieser zwei Staatsebenen. Zudem gebe es eine stärkere Verbindlichkeit bei der Vorratshaltung von wichtigen medizinischen Gütern, sagte Engelberger. «Ein wichtiges Puzzlestück dafür ist der aktualisierte nationale Pandemieplan.»
WAS IST DER PANDEMIEPLAN?
Der Bund hat aufgrund der Erfahrungen mit dem Coronavirus den Pandemieplan vor Kurzem vollständig überarbeitet. Nicht mehr die Grippe steht im Zentrum. Der neue Plan fokussiert umfassend auf alle möglichen Pandemien und dient zur Vorbereitung auf künftige Bedrohungen. Neu besteht eine digitale Plattform, die allen Beteiligten einen schnellen und einfachen Zugriff auf die nötigen Informationen ermöglicht. Der Pandemieplan legt konkrete Aufgaben für Überwachung, Infektionskontrolle, Gesundheitsversorgung und Impfung fest. Ebenso regelt er Querschnittaufgaben wie Kommunikation, Versorgungssicherheit, Finanzen und Personal. So ist der Bund für die Erarbeitung von gesamtschweizerischen, strategischen Zielvorgaben zuständig und die Kantone für die Umsetzung. Der Bund unterstützt sie bei der Koordination und Vereinheitlichung der Massnahmen. Der Pandemieplan ist rechtlich nicht bindend.
WIE GEHT ES WEITER?
Das Parlament wird nun die Vorlage diskutieren. Die Organisation Mass-voll hat bereits angekündigt, ein Referendum gegen die Gesetzesänderungen vorzubereiten. Aus ihrer Sicht ist das Epidemiengesetz ein «reines Machtinstrument unter Aushöhlung der Gewaltentrennung zum Schaden von Volk und Staat». Die Bewegung hatte bereits drei Abstimmungen zum Covid-19-Gesetz erzwungen. Das Volk sagte drei Mal deutlich Ja zum Kurs von Regierung und Parlament.
(AWP)