(Bloomberg) -- Als Carsten Spohr vor neun Jahren Lufthansa-Chef wurde, sagte ihm jeder, seine erste Klasse sei zu groß und müsse zusammengestrichen werden: Geschäftsreisende könnten diese Annehmlichkeit nicht mehr rechtfertigen, wenn schon in der Business Class Betten angeboten werden. Einige Fluggesellschaften strichen die höchste Klasse ganz aus ihrem Angebot.

Doch nun füllen plötzlich Urlaubsgäste, die nach der Pandemie keine Abstriche mehr machen wollen (und die sich nicht um ihren CO2-Fußabdruck sorgen), die Kabinen der ersten Klasse. Sie schrecken nicht vor 10.000 Dollar je Einwegflug zurück, wenn der mit Extras wie einem Limousinenservice und einem persönlichen Assistenten am Flughafen verbunden ist. Auch Spohrs Manager haben ihre Meinung geändert: “Dieses Jahr ist das erste Jahr, in dem mir mein ganzes Team sagt: ‘Spohr, wir müssen die erste Klasse ausbauen, sie ist unterdimensioniert.’ Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals hören würde”, sagte er letzte Woche vor Investoren.

Der Mangel an First-Class-Sitzen ist natürlich ein Luxusproblem, wie es im Buche steht. Fluggesellschaften setzen allerdings darauf, dass es sich dabei nicht um ein vorübergehendes Nach-Pandemie-Phänomen handelt, sondern um eine strukturelle Veränderung im Konsumverhalten der Reichen. Es hängt viel davon ab, ob dieses Kalkül aufgeht.

Die Renaissance der Ersten Klasse ist Teil eines breiteren Booms im gehobenen Reisesegment, der die Erträge in die Höhe schraubt und den Fluglinien hilft, ihre Bilanzen nach der verheerenden Pandemie zu sanieren. Lufthansa rechnet mit dem besten Sommer aller Zeiten, was die Flugumsätze angeht. Ihre Premiumsitze sind “ausverkauft”. Bei der British Airways-Mutter International Consolidated Airlines entwickelt sich das Premium-Freizeitsegment “sehr gut”.

Bei Air France ist die Nachfrage in der Premiumklasse “explodiert” und La Premiere war in den letzten drei bis vier Monaten so gut ausgelastet wie nie zuvor. “Der High-End-Tourismus, insbesondere nach Paris, ist sehr stark”, sagt die franko-holländische Fluglinie. Bei Emirates Airlines aus Dubai kamen zu einer Zeit auf jedes verkaufte Business-Class-Ticket ab London “vier oder fünf Leute, die versuchen es zu bekommen”, sagte Präsident Tim Clark im Interview mit Bloomberg TV.

Die Premium-Buchungen haben sich schneller erholt als das Passagieraufkommen insgesamt, vor allem in Nordamerika und Europa. Bemerkenswerterweise geschieht dies, obwohl die Geschäftsreisen das Niveau von vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht haben — und vielleicht auch nicht mehr erreichen werden, da Zoom für weniger wichtige Geschäftstreffen ausreicht. Wenn der Boom im Premium-Freizeitbereich anhält, wird es den Fluggesellschaften wohl nicht so viel ausmachen.

Der Himmel ist voller Privatjets, die Kabinen und Lounges von Business-Class-Flugzeugen sind überfüllt mit Touristen, und selbst weniger wohlhabende Passagiere gönnen sich einen bequemeren Sitzplatz in der Premium Economy (die für die Fluggesellschaften besonders lukrativ ist).

Und nicht nur die Luftfahrt profitiert von diesem Boom: Die Reederei Norwegian Cruise Line Holdings vermeldete letzte Woche, dass die Reservierungen für ihre 154 Nächte dauernde Regent-Luxus-Weltreise um fast 70% über dem Niveau vor der Pandemie liegen, und das bei einem Durchschnittspreis von über 230.000 Dollar (209.000 Euro) (!) pro Suite.

Die Fluggesellschaften passen sich der Nachfrage nach Premium-Kabinen an. Sie gestalten die Kabinen um, ändern das Verhältnis von Economy- zu Premium-Sitzplätzen oder holen stillgelegte Großraumflugzeuge wie den A380 und den A340 wieder aus dem Hangar, die viel Premium-Platz bieten. Vor der Pandemie reduzierte Air France die Anzahl der Sitze in der Business Class vor der Sommersaison, wird dies aber in diesem Jahr nicht tun, um der hohen Nachfrage gerecht zu werden.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Reisende in der Premium-Kabine nur Meilen abfliegen oder ein kostenloses Upgrade genießen. Jetzt zahlen sie den vollen Betrag selbst und buchen immer häufiger direkt über die Websites der Fluggesellschaften und nicht mehr über Reisebüros, was den Fluggesellschaften profitable Möglichkeiten für Upselling bietet.

Eine offensichtliche Erklärung für diese Entwicklung ist, dass die Reichen die Lebenshaltungskostenkrise nicht so stark spüren wie die 99%, und dass das Reisen auf ihrer Prioritätenliste nach oben gerückt ist. “Wir sehen das nicht nur in der Luftfahrt”, sagte Spohr diese Woche. “Sie sehen es bei hochwertigen Autos, bei hochwertigen Uhren, bei hochwertigen Luxusprodukten. Schauen Sie sich LVMH in Frankreich an, schauen Sie sich die deutschen Autohersteller an. Es gibt einen allgemeinen Trend zu Luxus, zu Premiumprodukten für die Menschen, die es sich leisten können. Reisen ist sicherlich ein Teil davon.”

Ein gängiger Spruch in der Luftfahrt lautet: Wenn Sie erst einmal die Freuden der Premium-Kabine genossen haben, fällt es Ihnen schwer, zu den Demütigungen der Holzklasse zurückzukehren. Aber sind schöne Reiseerinnerungen wirklich so unbezahlbar? Eine Bankenkrise, eine tiefe Rezession und/oder ein Zusammenbruch des Aktienmarktes würde sicherlich dazu führen, dass Freizeitreisende wieder preisbewusster werden. Die Nachfrage nach Privatjets hat bereits begonnen zu sinken, wenn auch von einem sehr hohen Niveau aus, während die Nachfrage nach Luxusgütern in den USA nachlässt.

Darüber hinaus sind etwa die Bankenchefs gerade dabei, das Homeoffice wieder zurückzustutzen, was spontane Freizeittrips womöglich schwieriger macht. Im Moment machen sich die Fluggesellschaften jedoch weniger Sorgen darüber, ob wohlhabende Kunden weiterhin die erste Klasse buchen werden, als vielmehr darüber, ob im vorderen Teil des Flugzeugs noch genug Platz für sie ist.

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Überschrift des Artikels im Original:Good Luck Finding a First-Class Plane Ticket: Chris Bryant

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