Am Vormittag wurde in der ukrainischen Hauptstadt wegen möglicher russischer Angriffe Luftalarm ausgelöst. "Die EU wird die Ukraine und das ukrainische Volk gegen den anhaltenden russischen Angriffskrieg unterstützen, solange es nötig ist", heisst es im Entwurf der gemeinsamen Erklärung, der Reuters vorliegt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte vor den Gesprächen EU-Beitrittsverhandlungen noch in diesem Jahr. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), sprach von einer guten Beitrittsperspektive innerhalb von fünf Jahren. Beides wird von EU-Diplomaten aber als unrealistisch angesehen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel nehmen an dem Gipfeltreffen in Kiew teil. Sie waren bereits am Donnerstag eingetroffen. Von der Leyen kündigte ein weiteres EU-Sanktionspaket gegen Russland an. Russische Truppen waren am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert - deshalb hat der Gipfel auch mit Blick auf den Jahrestag politische Bedeutung. In den vergangenen Tagen hatten die russischen Truppen ihre Angriffe im Osten des Landes verstärkt. Selenskyj hatte um einen schnellen Beginn der Beitrittsverhandlungen gebeten, weil dies der Ukraine Energie und Motivation verleihen würde. Das Land hatte im Juni 2022 den Kandidatenstatus erhalten. Die ukrainische Führung hatte in den vergangenen Tagen ihre Anti-Korruptionskampagne verschärft. Die EU fordert entschiedene rechtsstaatliche Reformen auf dem Weg zu einem möglichen Beitritt.
Während die USA die grösste militärische Hilfe leisten, sind die EU-Staaten und die Union die mit Abstand grössten finanziellen Unterstützer der Ukraine - sowohl was Budgethilfen als auch humanitäre Leistungen angeht. Beim Tempo des Beitrittsprozesses gibt es aber Differenzen. Während die Regierung in Kiew aufs Tempo drückt, verweisen EU-Vertreter auf die Bedingungen. SPD-Aussenpolitiker Nils Schmid widersprach dem Grünen-Politiker Hofreiter, der gesagt hatte, dass ein Beitritt in zehn Jahren zu spät sei. Man sollte keine Jahreszahlen nennen, weil die EU klare Regeln habe, die erfüllt werden müssten. "Zudem muss die Territorialfrage vor einem Beitritt geklärt sein", sagte der SPD-Politiker der Nachrichtenagentur Reuters mit Blick auf die russische Besetzung ukrainischer Gebiete. Die EU nimmt keine Staaten mit ungeklärten Territorialfragen auf. Diese Klärung sei aber nicht für die Aufnahme von Verhandlungen erforderlich.
"Einige wollen vielleicht über das Endspiel spekulieren, aber die einfache Wahrheit ist, dass wir noch nicht so weit sind", sagte auch ein EU-Vertreter. Mit den Westbalkan-Staaten wird bereits seit Jahren über einen Beitritt verhandelt.
Schlachtfeld im Osten
Der EU-Ukraine-Gipfel kommt zu einer Zeit, in der russische Streitkräfte im Nordosten und Süden der Ukraine ihre Angriffe verstärken. Ein Sprecher der ukrainischen Streitkräfte im Osten des Landes erklärte, Russlands Hauptvorteil sei die Anzahl der Kräfte, die es einsetzen könne. "Sie bringen Männer aus der Teilmobilmachung an die Front und versuchen systematisch, Orte zu finden, an denen sie unsere Verteidigung durchbrechen können", sagte er dem ukrainischen Radio NV. "Es soll das Ziel erfüllt werden, die Kontrolle über die gesamte Region Donezk zu übernehmen." In Washington sagte CIA-Direktor William Burns, dass die Entwicklungen auf dem Schlachtfeld in den nächsten sechs Monaten "absolut entscheidend" seien und dass der russische Präsident Wladimir Putin es mit Verhandlungen nicht ernst meine. Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" hat die Bundesregierung die Erlaubnis zur Lieferung von Leopard-1-Panzern aus Industriebeständen gegeben.
Das ukrainische Militär teilte am späten Donnerstag mit, dass die russischen Streitkräfte die Stadt Kramatorsk in der Region Donezk zwei Mal angegriffen hätten. Einige Gebäude seien beschädigt und Zivilisten verletzt worden. Erst am Mittwoch war eine russische Rakete in einen Wohnblock in der Stadt eingeschlagen. Dabei wurden drei Menschen getötet. Ukrainische Flugzeuge flogen vier Angriffe auf russische Truppenkonzentrationen und einen Kommandoposten, hiess es. Reuters konnte die Berichte über die Gefechte nicht unabhängig verifizieren.
(Reuters)