Es gebe zwar jede Woche in irgendeiner Branche in einem Land Lohnverhandlungen, sagte der oberste Volkswirt der Euro-Notenbank am Dienstag auf einer Konferenz in Vilnius in Litauen. Die Entwicklung für die ganze europäische Wirtschaft sei aber langsam. «Daher werden wir beispielsweise bis Ostern nächstes Jahr nicht wirklich über die Löhne 2024 Bescheid wissen, würde ich sagen.» Denn in manchen Ländern, wie beispielsweise in Frankreich, fänden viele Lohnverhandlungen im Januar statt.

«Somit wird es noch eine lange Zeit dauern, bevor wir wissen, ob die entscheidende Annahme, dass die Löhne nächstes Jahr langsamer steigen werden, sich als stichhaltig erweisen wird oder nicht», sagte Lane. Die EZB achtet genau auf die Entwicklung der Löhne wie auch der Unternehmensgewinne, um Aufschluss über die zugrundeliegenden Inflationstrends zu erhalten. Zuletzt hatte sich die Inflation deutlich abgeschwächt. Im September war die Teuerung im Euro-Raum auf 4,3 Prozent gesunken - der niedrigste Wert seit Oktober 2021. Im August waren es noch 5,2 Prozent gewesen.

«Was wir somit im September gesehen haben, ist erfreulich, aber wir müssen weitere Fortschritte sehen,» sagte Lane vor der Presse. «Wir nehmen an, dass die Lohninflation zurückgehen wird, aber das wird Monate dauern, es wird Zeit brauchen.» Auch bei den Dienstleistungen seien die Inflationsdaten für September positiv gewesen. «Aber ich denke, wir werden Daten zur Dienstleistungsinflation noch eine ganze Weile beobachten», fügte er hinzu. Die Inflation im Dienstleistungssektor hatte sich im September auf 4,7 Prozent abgeschwächt nach 5,5 Prozent im August.

Die EZB hat seit Sommer 2022 im Kampf gegen die Inflation die Zinsen zehn Mal in Serie angehoben, zuletzt Mitte September um einen viertel Prozentpunkt. Der am Finanzmarkt massgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt damit inzwischen bei 4,00 Prozent. An den Börsen wird aktuell davon ausgegangen, dass die EZB damit vorerst den Zinshöhepunkt erreicht hat und im Rest des Jahres die Füsse still halten wird. Bis Juli 2024 wird am Finanzmarkt mit einer ersten Zinssenkung gerechnet.

(Reuters)