Durchschnittsrechnungen über vergangene Entwicklungen und Grössenordnungen sind trügerische Ratgeber. (Bild: Shutterstock.com/Akira Kaelin)
Durchschnittsrechnungen über vergangene Entwicklungen und Grössenordnungen sind trügerische Ratgeber. (Bild: Shutterstock.com/Akira Kaelin)

Oft heisst es, man könne mit der Vergangenheit die Gegenwart und die Zukunft erklären. Tatsächlich kann man aus der Geschichte lernen. Aber manchmal ist die Vergangenheit auch irreführend. In Baissen versucht man oft, die zukünftige Marktentwicklung anhand früherer Verlustphasen zu prognostizieren. Robert M. Almeida gehört zu den Strategen, die das für gefährlich halten.

Der Portfoliomanager und Global Investment Strategist des Bostoner Asset Managers MFS verweist auf ein gängiges Denkmuster: Rezessionen dauern im Schnitt x Tage, an denen Aktien um durchschnittlich so und so viel % fallen. Danach erholen sie sich y Tage lang, und zwar um durchschnittlich z%.

Mit solchen Formeln wollen Berater ihre Kunden beruhigen und ihnen weismachen, dass morgen alles besser wird. Sicher, irgendwann ist das der Fall. Aber das kann länger dauern, als man glaubt – und bis dahin ist es mitunter nicht einfach, fügt Almeida an.

Rezessionen beenden Übertreibungen

Warnung vor dem Durchschnitt. Dieser ist der Mittelwert oder typische Wert einer Zeitreihe. Er sagt aber nichts über die Streuung aus. Man stelle sich zwei Städte mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von etwa 20°C vor. Die eine liegt in einer Zone mit stabilem Klima, die andere in einer Region mit ausgeprägten Jahreszeiten. Der Durchschnitt verbirgt mehr, als er erklärt. Es braucht zusätzliche Daten, um zu entscheiden, wann man welche der beiden Städte besuchen soll.

Die simple Durchschnittsrechnung ist aber nicht das einzige Problem. Jede Verlustphase, jede Finanzkrise und jede Rezession ist anders. Würde es helfen, wenn wir zu den Durchschnittswerten riesige Datentabellen bekämen? Almeida glaubt es nicht.

Konjunktur- und Marktzyklen, erklärt er, enden nicht deshalb, weil sie in die Jahre gekommen sind. Sie enden, weil Übertreibungen beseitigt werden, durch eine Finanzkrise oder eine Rezession. Überinvestitionen werden so häufig schmerzhaft korrigiert, in der Realwirtschaft wie an
den Finanzmärkten. Die Länge des Konjunkturzyklus ist sekundär. Entscheidend ist das Ausmass der vorhergehenden Übertreibungen. "Davon hängt ab, wie stark die Korrektur sein muss. Und das bestimmt wiederum, wie lange es bergab geht."

Was sind die heutigen Übertreibungen? In den 2010ern reagierte die Geldpolitik auf schwaches Wachstum und Deflationsrisiken mit einer massiven monetären Lockerung. Die Notenbanken glaubten, dass dann mehr investiert und die Unternehmen mit dem Geld
produktive Aktivitäten finanzieren würden. Aber es kam anders, weil die fast unendlich scheinende Liquidität schwache
Wachstumsperspektiven signalisierte.

Kreditmarkt aus dem Gleichgewicht

Statt in produktive Kanäle floss das geliehene Geld in Dividenden und Aktienrückkäufe. Die immer umfangreicheren Wertpapierkäufe der Notenbanken, bekannt unter dem Begriff Quantitative Easing, "erwiesen sich als ein Problem, das mögliche Lösungen verdeckte", so der MFS-Stratege.

Nach der Finanzkrise waren Nichtbanken die bevorzugten Wallstreet-Kunden. Ihre Verschuldung stieg vor der Corona-Pandemie auf neue Rekorde. Als die Notenbanken im April 2020 die Geldschleusen noch weiter öffneten, geriet auch der Kreditmarkt aus dem Gleichgewicht.

Vor Corona waren die Gewinnmargen der Unternehmen trotz des schwächsten Konjunkturzyklus seit über hundert Jahren so hoch wie noch nie. 2021 wurden sie nochmals übertroffen, aus Sicht von Almeida "wegen der verzögerten Wirkung übertriebener Konjunkturprogramme." Und der Stratege verweist auf den Schuldenberg. "Schulden sind ein Wechsel auf die Zukunft, und die Unternehmen weisen heute nicht nachhaltige Margen und Gewinne aus."

Was bringt die Zukunft?

Aktienkurse und Preise von Unternehmensanleihen hängen letztlich an den Gewinnmargen der Unternehmen. Dem S&P 500 drohe das schwächste Jahr seit 1970", war letzthin eine Schlagzeile auf Yahoo News.

Derweil erzählen viele Unternehmen ihren Investoren, dass die Margen trotz wachsender Rezessionsrisiken und stark steigender Kosten weiterhin auf Allzeithoch liegen könnten. Das erklärt mitunter, so Almeida, die noch immer hohen Gewinnerwartungen, trotz offensichtlich nachlassender Umsätze und steigender Faktorkosten. "Auch deshalb glauben wir ihnen nicht", meint er: Beim Risiko sieht man vor lauter Bäumen – man könnte auch den Durchschnitt sagen – oft den Wald nicht mehr. "Was sehen Sie?" fragt er am Ende seines Kommentars.

Dieser Artikel wurde cash von Investrends.ch zur Verfügung gestellt. Verpassen Sie keine News zu aktuellen Themen aus der Fonds- und Asset-Management-Branche. Investrends.ch liefert Ihnen im Newsletter zweimal wöchentlich die Zusammenfassung der Nachrichten und informiert Sie über Sesselwechsel und wichtige Veranstaltungen. Hier abonnieren