Noch vor Beginn der Haushaltsdebatte sei eine grundsätzliche Klarstellung hinsichtlich der bedrohlichen finanziellen Lage Frankreichs erforderlich, sagte Bayrou. Der 74-Jährige ist seit nicht einmal neun Monaten im Amt. Seine Mitte-Rechts-Regierung hat im Parlament keine Mehrheit. Eine Niederlage des Premiers dürfte auch Präsident Emmanuel Macron schwächen, auch wenn sein eigener Posten nicht vom Ergebnis der Abstimmung abhängt.

Bayrou hatte eine Vertrauensabstimmung wohl als Befreiungsschlag vor schwierigen Haushaltsberatungen gesehen. Die versammelte Opposition kündigte aber ohne Zögern an, dem Zentrumspolitiker bei der Abstimmung das Vertrauen zu entziehen. Dazu reicht anders als bei einem Misstrauensvotum eine einfache Mehrheit.

Keine Einigkeit über Sparkurs

Bayrou führte trotz der schlechten Vorzeichen in den letzten Tagen intensive Gespräche mit Politikern aller Lager. Sollte es ihm dennoch gelingen, die Abstimmung zu überstehen, wäre dies ein beachtlicher Erfolg für seine Suche nach einem Grundkonsens in Haushaltsfragen. In trockenen Tüchern wäre das Budget für das kommende Jahr damit aber noch nicht. Dem Premier könnte im Herbst dennoch ein Misstrauensvotum drohen, wenn es keine Einigkeit gibt, wo gespart werden soll.

Dabei ist es zwingend nötig, dass Frankreich den Gürtel enger schnallt. Der ohnehin hohe öffentliche Schuldenstand war zuletzt auf rund 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen. Damit ist Frankreich nach Griechenland und Italien das Land im Euroraum mit der höchsten Schuldenquote. In absoluten Zahlen hat Frankreich mit rund 3.300 Milliarden Euro den höchsten Schuldenberg im Euroraum.

Rücktrittsgesuch erwartet

Mit einem Haushaltsdefizit von zuletzt 5,8 Prozent ist das Land ausserdem weit vom europäischen Grenzwert von 3 Prozent entfernt. Und die EU hat einen kritischen Blick darauf, ob Paris mit dem Sparen nun Ernst macht. Der von Bayrou Mitte Juli vorgelegte Haushaltsentwurf sah ein Einsparvolumen von 43,8 Millionen Euro vor. Alleine die Tilgungszahlungen für die Schulden drohten zum grössten Haushaltsposten zu werden, noch vor den Ausgaben für Bildung oder Verteidigung, warnte der Premier.

Falls Bayrou die Vertrauensabstimmung verliert, wird erwartet, dass Präsident Macron sein Rücktrittsgesuch annimmt und ihn bittet, geschäftsführend bis zur Bestimmung eines Nachfolgers im Amt zu bleiben. Auch ein künftiger Premier wird aber mit den unklaren Verhältnissen in der Nationalversammlung zu schaffen haben. Seit der vorgezogenen Neuwahl im Sommer 2024, als Macron das Unterhaus des Parlaments nach einer Schlappe bei der Europawahl aufgelöst hatte, haben weder das Präsidentenlager noch der linke oder rechte Block eine Mehrheit.

Wird ein Sozialist Regierungschef?

Wer als Nächster sein Geschick als französischer Regierungschef versuchen darf, nachdem bereits Bayrous konservativer Vorgänger Michel Barnier nach nur gut drei Monaten gestürzt wurde, ist offen. Einen Favoriten gibt es noch nicht. Für möglich gehalten wird, dass Präsident Macron dieses Mal einen Politiker wählt, der entweder aus dem Lager der Sozialisten kommt oder zumindest von ihnen akzeptiert wird. Denn mit Unterstützung der Sozialisten könnte es Macrons Lager gelingen, den Haushalt und weitere Gesetzesvorhaben voranzubringen.

Es wird damit gerechnet, dass Macron sich mit der Bestimmung eines neuen Premiers nicht lange Zeit lassen wird, denn Frankreich steht eine Streik- und Protestwelle bevor. Bereits kurz nach Bayrous Vorstellung seines Sparhaushalts verbreitete sich in Frankreich ein Aufruf, am kommenden Mittwoch das ganze Land zu blockieren. Obwohl weiterhin unklar ist, wer hinter dem Aufruf «Bloquons tout» (Blockieren wir alles) steckt, sind die Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft. Es wird mit bis zu 100.000 Protestierenden und spektakulären Blockade- und Sabotageaktionen gerechnet.

Massive Streiks angekündigt

Für den 18. September haben dann die Gewerkschaften zu landesweiten Streiks und Kundgebungen gegen den Sparkurs der Regierung aufgerufen. Inzwischen nehmen diese Proteste das Ausmass eines Generalstreiks an, die Pariser Verkehrsbetriebe und die Eisenbahn sollen bestreikt werden, und auch die Fluglotsen haben zu einem Streik aufgerufen. Spätestens zu diesem Datum dürfte Macron wieder einen neuen Premier und eine neue Regierungsmannschaft am Start haben wollen, um nicht selbst in den Hauptfokus der Proteste zu rücken, vermuteten französische Medien./evs/DP/zb

(AWP)