Im Bundestagswahlkampf stellte die AfD mit Alice Weidel nicht nur erstmals eine Kanzlerkandidatin auf, sondern bot der Union auch eine Zusammenarbeit an. Weil andere Parteien aber nicht mit der grössten Oppositionspartei kooperieren wollen, versucht sich die AfD-Spitze nun auf anderem Wege regierungshübsch zu machen. Am Wochenende beschloss die Fraktion auf einer Klausurtagung neue Verhaltensregeln für die Abgeordneten. Dort heisst es unter anderem, dass sich diese «um ein geschlossenes und gemässigtes Auftreten im Parlament» bemühen sollten.

Dies wird in der AfD zusammen mit den Hinweisen zu Geheimhaltungs- und Antibestechlichkeitsregeln als Professionalisierung einer stark gewachsenen Zahl an unerfahrenen Parlamentariern nach der Wahl begründet. Immerhin umfasst die Fraktion nun 151 Mitglieder. Erkennbar ist der Versuch der Fraktion, sich staatstragender und moderater zu präsentieren. «Ich sehe das als strategische Mässigung, aber keinen politischen Kurswechsel», sagt der Politikwissenschaftler Johannes Hillje. Ähnlich argumentiert Benjamin Höhne von der TU Chemnitz: «Es gibt eine Gleichzeitigkeit von Normalisierungsbemühungen und Radikalisierung.» Höhne warnt vor falschen Schlüssen: «Am Ende ist die Bezugsideologie der AfD eine rechtsextreme. Es geht um die Ausgrenzung von Gruppen, die Kritik an abgehobenen, bösen Eliten, das 'Wir gegen die Anderen'.»

Wunsch nach Regierungsverantwortung

Als Gründe nennen beide den Wunsch nach der politischen Anschlussfähigkeit, einer grösseren Wählbarkeit und einer späteren Regierungsbeteiligung. Allerdings schiele die Partei auch auf das laufende Gerichtsverfahren über die Einstufung als gesichert rechtsextrem sowie die Debatte über ein Parteiverbotsverfahren. «Denn das Gericht schaut auch auf aktuelle Äusserungen. Man will also weniger Angriffsfläche bieten», sagt Höhne.

Schon Ende April hatte der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla den gewünschten Imagewandel im Deutschlandfunk angekündigt. «Ich denke, (...) da wird es in Zukunft von unserer Seite auf parlamentarischer Ebene einen anderen Ton geben», sagte er da, als er auf Schmährufe aus seiner Fraktion in der konstituierenden Sitzung des Bundestages angesprochen wurde.

Prompt hagelte es aber auch Kritik um den radikaleren Parteiflügel um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Weidel versuchte, die Gemüter zu glätten. «Wir brauchen uns nicht zu mässigen», betonte sie am Montag vor der AfD-Fraktionssitzung. Chrupalla schob hinterher: «Wir sind hart in der Sache, angemessen im Ton.» Politikwissenschaftler Hillje spricht von einer «strategischen Mehrstimmigkeit» und einer typischen Doppelbotschaft, mit der die AfD bisher erfolgreich gewesen sei. Deshalb spreche man mal von der umstrittenen «Remigration» von Einwanderern, dann streiche man den Begriff wieder aus einem Papier.

Höhne hält es für möglich, dass in der eher basisdemokratisch organisierten AfD die radikaleren ostdeutschen Landesverbände den Kurs der Mässigung der Partei- und Fraktionsspitze nicht mitgehen werden. «Es kann sein, dass die radikaleren Kräfte diesen Normalisierungskurs nicht mitgehen, sondern auf eine absolute Mehrheit oder ein Bündnis mit dem BSW bei den nächsten Landtagswahlen bauen.» Dann muss man sich nicht mehr für ein Bündnis mit der CDU aufhübschen.

Opfer und staatstragend

Auf Bundesebene hat sich die Rolle der AfD schon deshalb verändert, weil sie stärkste Oppositionspartei geworden ist. Dies bringt neue Konflikte - und aus Sicht der Partei neue Beweise, dass sie von den anderen Parteien ausgegrenzt wird, die sie gerne als «Kartellparteien» beschimpft. So klagt die AfD nicht nur gegen die Einstufung als gesichert rechtsextrem durch den Bundesverfassungsschutz, sondern auch dagegen, dass ihre Fraktion nicht den grösseren Sitzungssaal von der nun kleineren SPD-Fraktion erhält. «Das fügt sich ein in die Schikanen, die gegen uns ausgeübt werden», kritisierte Weidel. Dazu komme, dass die AfD keine Ausschussvorsitzenden erhält - auch nicht im Haushaltsausschuss, der früher immer von der grössten Oppositionsfraktion geführt wurde. Die Regierungsfraktionen halten dagegen, dass dies an den Kandidaten hänge, die die AfD aufstelle und die nicht akzeptabel seien. Auch die Kandidatin der Linken für das Parlamentarische Kontrollgremium, Fraktionschefin Heidi Reichinnek, sei nicht gewählt worden.

Nun will die AfD anders erscheinen. Die beissende, von den anderen Parteien teilweise als hetzerisch kritisierte Tonlage soll stärker zurückgedrängt werden. «Die Brandmauer kann nur bröckeln, wenn die Partei anders wahrgenommen wird», meint Hillje mit Blick auf die Union. Der Chemnitzer Professor Höhne glaubt aber nicht an einen Erfolg. Er sieht in dem AfD-Verhalten auch eine Verteidigungsposition. «Denn seit der weiteren Hochstufung der AfD durch den Verfassungsschutz scheinen Debatten in manch ostdeutschen CDU-Kreisen über Gespräche mit der AfD verstummt zu sein», sagt er. «Die Einstufung als gesichert rechtsextrem hat also eine Wirkung.»

(Reuters/cash)