Die GDL und die Deutsche Bahn verhandeln seit vergangenem Donnerstag einen neuen Tarifvertrag. Gewerkschaftschef Claus Weselsky hatte vor Beginn der Gespräche in zahlreichen Interviews angedeutet, dass es im Rahmen der Verhandlungszeit wohl auch zum Arbeitskampf seiner Gewerkschaft kommen wird. Umso überraschter waren die DB-Vertreter vor einigen Tagen, als Weselsky am ersten Verhandlungstag keinen Streik ankündigte und stattdessen stundenlang verhandelte.
Streitpunkt Arbeitszeitreduzierung
Die Gewerkschaft fordert in den Tarifverhandlungen unter anderem 555 Euro mehr pro Monat für die Beschäftigten sowie eine Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3000 Euro. Besonders wichtig ist Weselsky zudem eine Arbeitszeitreduzierung von 38 auf 35 Stunden für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich. Die Bedeutung dieser Forderung für die GDL betonte er zuletzt immer wieder.
Die Bahn hält eine Arbeitszeitreduzierung für nicht realisierbar und lehnt bisher jede Verhandlung darüber ab. DB-Personalvorstand Martin Seiler bot stattdessen bereits in der ersten Verhandlungsrunde eine elfprozentige Entgelterhöhung bei einer Laufzeit von 32 Monaten an. Auch zur Zahlung der Inflationsausgleichsprämie zeigte er sich bereit, die erste Hälfte könnte nach DB-Vorstellung schon im Dezember überwiesen werden. «Zu wenig, zu lange und am Ende des Tages nicht ausreichend», lautete Weselskys Kommentar zum Angebot.
Seiler: Streikbeschluss zum jetzigen Zeitpunkt ein Unding
Trotz der noch grossen Differenzen konnten sowohl Seiler als auch Weselsky nach der ersten Runde Positives für sich aus den Gesprächen ziehen: Der Bahn-Personalvorstand wirkte zufrieden, dass für den Moment Warnstreiks kein Thema waren, der Gewerkschaftsboss verbuchte einen engen Terminrhythmus bei den weitere Verhandlungen für sich als Erfolg.
Nach der guten Stimmung steht mit dem plötzlichen Streikbeschluss zwei Tage vor dem nächsten geplanten Treffen alles wieder auf dem Kopf. «Jetzt zeigt die Spitze der Lokführergewerkschaft ihr wahres Gesicht, sie war nie an Lösungen interessiert. Der Streikbeschluss zum jetzigen Zeitpunkt ist ein Unding», polterte Seiler in einer Mitteilung. «Sollte die Lokführergewerkschaft tatsächlich vor den unmittelbar bevorstehenden Verhandlungen streiken, würde sie Millionen Menschen in Haftung nehmen und die Sozialpartnerschaft mit Füssen treten.»
Potenzial für viele Zugausfälle durch streikende Lokführer gross
Die GDL ist die kleinere von zwei Gewerkschaften bei der Bahn. Sie vertritt viele Lokführer, verhandelt aber auch für weitere Berufsgruppen, etwa Zugbegleiter oder Teile der Verwaltung. Die Bahn wendet die Tarifverträge der GDL bisher in 18 von rund 300 Betrieben an und betont, von den nun begonnenen Tarifverhandlungen seien lediglich rund 10 000 Bahnbeschäftigte betroffen. Zum Vergleich: Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG verhandelte im Frühjahr und Sommer neue Tarifverträge für gut 180 000 DB-Beschäftigte.
Das Potenzial für grosse Beeinträchtigungen im Bahnverkehr ist bei GDL-Arbeitskämpfen dennoch gross - eben weil vor allem viele der eminent wichtigen Lokführer Mitglieder sind. Zudem ruft die GDL auch explizit jene Gewerkschaftsmitglieder zum Ausstand auf, die nicht in den 18 Betrieben arbeiten, in denen nach GDL-Tarifverträgen bezahlt wird./nif/DP/ngu
(AWP)