Nach Zahlung von Steuern und Miete hätten Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen heute weniger zum Leben als 2016, heisst es Verteilungsbericht des Gewerkschaftsbunds (SGB), der die Verteilung der Löhne, Vermögen, Steuer- und Abgabenlast untersucht hatte.

Bei den unteren und mittleren Reallöhnen drohe ein «verlorenes Jahrzehnt», sagte SGB-Präsident und Ständerat Pierre-Yves Maillard (SP/VD) vor den Medien in Bern. In den vergangenen drei Jahren seien die Reallöhne nicht mehr gestiegen, etwas, was es seit dem Zweiten Weltkrieg nie gegeben habe.

Signal durch 13. AHV-Rente

Maillard erhofft sich vom Ja zur 13. AHV-Rente ein gewisses Umdenken. Liberale Kommentatoren und Politiker hätten sich gefragt, ob man ihnen das Volk ausgetauscht habe. Der Souverän schien nicht mehr mit ihnen zu stimmen. In Wahrheit hätten sich die Lebensrealitäten geändert - und zwar zum Schlechteren. «Man spricht offenbar nicht vom gleichen Land», sagte Maillard.

Der SGB fordert deshalb in der Lohnrunde vom Herbst eine Wende in der Einkommenspolitik. Diese müsse die Normalverdienenden berücksichtigen, statt einzig die Oberschicht. Neben substanziellen und generellen Lohnerhöhungen und dem Teuerungsausgleich müssten alle Beschäftigten mit Lehre 5000 Franken im Monat verdienen und Ungelernte mindestens 4500.

Maillard warb für die «Prämienentlastungs-Initiative» der SP. Bürgerliche Parteien würden vor Steuererhöhungen warnen. In Realität würden die höheren Einkommen, die ohnehin weniger unter den Krankenkassenprämien litten, über die direkte Bundessteuer für die Prämienentlastung etwas mehr zahlen müssen. So würde ein Ausgleich zu den von der Bundessteuer ohnehin weniger belasteten kleineren Einkommen entstehen.

4000 Lohnmillionäre in der Schweiz

Parallel zu den stagnierenden oder sinkenden Reallöhnen verbessere sich die Situation der Reichsten, führte SGB-Chefökonom Daniel Lampart aus. Unterdessen gebe es 4000 Lohnmillionäre in der Schweiz und 17'500 Halbmillionäre. Diese Zahl sei stark gewachsen.

Die Kehrseite sehe anders aus: «Die Leute arbeiten viel und hart. Es schaut aber zu wenig heraus», sagte Lampart. Bis 2016 hätten sich die Reallöhne noch im Gleichschritt mit dem Produktivitätszuwachs um jährlich etwa ein Prozent entwickelt.

Seither würden die Arbeitgeber trotz guter Margen weder diesen von den Beschäftigten erarbeiteten Fortschritt weitergeben noch die Teuerung ausgleichen. Hinzu komme eine verfehlte Steuer- und Abgabenpolitik.

Diverse Kantone planten weitere Erleichterungen bei Einkommens- und Vermögenssteuern für Vielverdiener, würden aber bei Prämienverbilligungen abwinken, da die Mittel fehlten. Und das obwohl die Krankenkassenprämien die Hauptsorge der Bevölkerung seien.

Wieder automatischer Teuerungsausgleich

Vania Alleva, SGB-Vizepräsidentin und Präsidentin der Gewerkschaft Unia, erklärte, auf dem Bau seien 90 Prozent der Beschäftigten mit einem Reallohnverlust konfrontiert. Beschäftigte von Detailhandel und Pflege im unteren Lohnbereich hätten wegen der gestiegenen Krankenkassenprämien und Mieten heute 120 Franken pro Monat weniger zum Leben als 2016.

Der früher selbstverständliche Teuerungsausgleich sei sukzessive durch individuelle Lohnerhöhungen ersetzt worden. Neben substanziellen Erhöhungen namentlich auch bei den sogenannten Frauenberufen mit ihren tiefen Löhnen müsse der automatische Teuerungsausgleich in den Gesamtarbeitsverträgen wieder normal werden.

(AWP)