Noch deutlicher wird der Wertverlust für Anleger, die das Papier seit einem Jahr im Depot halten. Sie müssen mit rund 37 Prozent weniger zurechtkommen. Wer vor zwei Jahren eine Hellofresh-Aktie gekauft und seitdem daran festgehalten hat, hat mittlerweile über 80 Prozent verloren. Damals hatten die Scheine aber auch ausserordentlich von Effekten aus der Corona-Pandemie profitiert, als die Nachfrage nach Lieferprodukten deutlich grösser war.
Wie Hellofresh weiter mitteilte, werde der Konzernumsatz währungsbereinigt lediglich um zwei bis fünf Prozent statt um bis zu acht Prozent steigen. Ausgehend vom Vorjahreswert wären das ursprünglich rechnerisch rund 8,2 Milliarden Euro gewesen. Nach der Kappung der Prognose stehen nur noch rund 7,8 bis knapp 8,0 Milliarden Euro auf dem Zettel des Managements. Damit liegt das untere Ende der Prognose noch leicht über den Erwartungen von Analysten.
Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (bereinigtes Ebitda) dürfte jetzt nur 430 bis 470 Millionen Euro erreichen. Damit liegt das Unternehmen selbst unter der niedrigsten Analystenprognose. Bisher hatte das Management 470 bis 540 Millionen in Aussicht gestellt.
Dabei konkretisierte das Management nach Angaben von JPMorgan-Experte Marcus Diebel in einer abendlichen Analystenkonferenz, dass die schwächere Nachfrage nach Kochboxen in den USA nur zu einem geringen Teil Grund für die Gewinnwarnung sei. Der Löwenanteil gehe indes auf die «einmaligen» Probleme entlang der Produktionskette.
Allerdings müsste das Management sich auf Fragen von Investoren einstellen, warum die Probleme nicht bereits bei Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal Ende Oktober ein Thema waren, warnte Diebel. Zu dem Zeitpunkt hatte Konzernchef Richter die Jahresprognose noch bestätigt - und das, obwohl Hellofresh in beiden Geschäftsbereichen Abstriche machen musste.
Durch den Zeitpunkt, Umfang und der Begründung der gekappten Ziele untergrabe der Konzern das Vertrauen am Markt, und die Kappung sei «enttäuschend», fasste Barclays-Analystin Emily Johnson zusammen. Auch wenn sie ebenfalls überzeugt ist, dass die Probleme keine langwierigen Folgen haben dürften, werde Hellofresh Zeit benötigen, um das Vertrauen seiner Aktionäre zurückzugewinnen. Nizla Naizer von der Deutschen Bank quittierte die überraschende Prognosekappung mit einer Abstufung: Die Hellofresh-Aktien empfiehlt sie nicht mehr zum Kauf.
Der Konzern begründete die Entwicklung zum einen mit überraschend geringen Neukundenzahlen in wichtigen Wochen des laufenden Quartals. Nach dem Start ins neue Jahr zählen dazu etwa die Tage rund um das Erntedankfest (Thanksgiving). Üblicherweise nimmt Hellofresh im Spätsommer und zu Beginn der Herbstmonate viel Geld in die Hand, um neue Kunden auf seine Produkte aufmerksam zu machen. «Die Zahl der Aktiven Kunden im Quartal wird folglich auch etwas niedriger ausfallen als ursprünglich erwartet», warnte der Vorstand.
Doch Konzernchef Richter muss auch mit anderen Problemen zurechtkommen: In Arizona zieht sich das Hochfahren der neuen Produktionsstätte in die Länge. Hellofresh will dort Fertiggerichte seiner Marke Factor produzieren und setzt grosse Hoffnung in die sogenannte Ready-To-Eat-Produktlinie, die bis 2025 die grösste des Unternehmens werden soll. Zudem erschweren die Wasserknappheit in dem Wüstenstaat sowie fehlendes Personal die Prozesse. Und in Illinois dauerte die geplante Wartung einer Produktionsstätte länger als angenommen.
Die USA bilden mit Kanada das Segment Nordamerika, das im dritten Quartal zwei Drittel des Gesamtumsatzes ausgemacht hat. Der Rest verteilt sich auf die vielen kleineren Märkte im Rest der Welt, den Hellofresh im Segment International zusammenfasst. Der Geschäftsverlauf der kleineren Sparte entspreche «bis zum heutigen Tag» den Planungen, hiess es./ngu/bek/he/tav/jha/
(AWP)