Ausserdem befürchten sie ein «Bürokratiemonster». Im Parlament war die durch eine Initiative der FDP Frauen angestossene Reform umstritten. Die Mehrheit der Kantone lehnt sie ab.
«Aus unserer Sicht ist diese Reform, wie sie heute daherkommt, ein Steuerschwindel. Denn sie benachteiligt Familien, belastet den Mittelstand und verkompliziert unser Steuersystem massiv», sagte Mitte-Präsident Philipp Matthias Bregy (VS) am Donnerstag in Bern vor den Medien.
Neue Benachteiligungen sieht das Referendumskomitee vor allem für Ehepaare mit nur einem Einkommen oder mit stark unterschiedlichen Einkommen. Letztere würden neu deutlich höher besteuert als Paare mit zwei ähnlichen Einkommen.
«Die Einführung dieses neuen Steuermodells bezweckt eine neue ungerechte Strafe», sagte EVP-Präsidentin Liliane Studer (AG). Sie ersetze die heutige Heiratsstrafe durch eine neue Ungerechtigkeit. Alle Familienmodelle müssten aber gleichbehandelt werden. «Es kann nicht sein, dass Doppelverdiener bevorteilt und andere benachteiligt werden», so Studer weiter.
Angst vor «Bürokratiemonster»
In über einem Drittel der Familien mit Kleinkindern verzichte ein Elternteil denn auch auf Erwerbsarbeit. Gutverdienende Doppelverdiener-Haushalte würden von der Reform profitieren - der grosse Teil der Bevölkerung aber nicht.
Betroffen von einer neuen Benachteiligung wären laut der Allianz vor allem Familien, Alleinstehende und der Mittelstand. «Familien leisten enorm viel für den Zusammenhalt unseres Landes. Und zwar auch solche Familien, wo Elternteile auf Erwerbsarbeit verzichten», sagte EDU-Nationalrat Andreas Gafner (BE). Diese hätten mehr Entlastung verdient.
Auch sei die vom Parlament beschlossene Reform ein «riesiges Bürokratiemonster», sagte der Zürcher SVP-Nationalrat Martin Hübscher. Bei einer Einführung rechne man mit einem zusätzlichen administrativen Aufwand von 1,7 Millionen Steuererklärungen mehr pro Jahr. Ehepaare müssten neu zwei Steuererklärungen ausfüllen und jedes Jahr eine Vermögensaufteilung vornehmen.
Zudem sei es in allen Kantonen gelungen, die Heiratsstrafe abzuschaffen. Die Diskriminierung verheirateter Paare könne somit ohne eine vollständige Systemänderung beseitigt werden. Die Reform stehe auch «im Widerspruch zur Ehe als wirtschaftliche Einheit», sagte Hübscher weiter.
Entscheide im Parlament fallen knapp aus
Das Gesetz über die Individualbesteuerung ist der indirekte Gegenvorschlag zur Steuergerechtigkeits-Initiative der FDP Frauen. Sie hat zum Ziel, dass Verheiratete künftig nicht mehr gemeinsam, sondern individuell besteuert werden.
Bezahlt künftig jeder und jede unabhängig vom Zivilstand für sich selbst die Steuern, soll das mehr Menschen motivieren, einen Job anzunehmen oder das Arbeitspensum zu erhöhen.
Mitte Juni hatte das Parlament die Gesetzesvorlage bereinigt. Auch die Initiative selbst empfiehlt das Parlament zur Annahme. Doch etliche Entscheide zu der fundamentalen Neuerung bei Bund, Kantonen und Gemeinden fielen mit knappen bis knappsten Mehrheiten. So gab bei der Beratung des Geschäftes im Ständerat gleich drei Mal ein Stichentscheid den Ausschlag.
Heute werden in der Schweiz Verheiratete und gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, gemeinsam besteuert. Gehen beide Personen einer Erwerbstätigkeit nach, müssen sie wegen der Progression teilweise höhere Steuern bezahlen als Konkubinatspaare.
Das Bundesgericht hatte 1984 entschieden, dass die steuerliche Diskriminierung verheirateter und eingetragener Paare gegenüber Konkubinatspaaren verfassungswidrig ist.
Kantone und Städte sind sich uneinig
Neben dem Bund sollen auch Kantone und Gemeinden individuell besteuern. Doch das stösst auf Widerstand: So lehnt eine grosse Mehrheit der kantonalen Finanzdirektorinnen und -direktoren (FDK) sowohl die Volksinitiative für eine Individualbesteuerung als auch den Gegenvorschlag ab.
Die Konferenz bevorzugt die gemeinsame Veranlagung der Ehegatten. Die Kantone hätten die Heiratsstrafe bereits abgeschafft. Die Konferenz empfahl den Kantonsregierungen denn auch, das Kantonsreferendum zu ergreifen.
Sollten die für das Referendum benötigten 50'000 Unterschriften nicht zusammenkommen, könnte demnach stattdessen dieser Weg zu einer Abstimmung führen. Für ein Kantonsreferendum wären acht Kantone nötig. So oder so also dürfte die Stimmbevölkerung 2026 über die Vorlage befinden können.
Derweil begrüssten die Städte und die städtische Finanzdirektorenkonferenz den Entscheid der eidgenössischen Räte. Sie befürworten den Steuersystemwechsel, da er den gesellschaftlichen und sozioökonomischen Wandel der vergangenen Jahrzehnte abbilde.
(AWP)