Auslöser der gefährlichsten Krise in der Nahost-Region seit Jahrzehnten waren tödliche Anschläge auf zwei hochrangige Ziele des israelischen Sicherheitsapparats. In der Nacht zu Mittwoch tötete eine Explosion im Zimmer eines Gästehauses der iranischen Regierung in Teheran den Auslandschef der islamistischen Hamas, Ismail Hanija. Wenige Stunden zuvor hatte ein Luftangriff den ranghohen Hisbollah-Kommandeur Fuad Schukr in der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet.

Zum Angriff auf Schukr bekannte sich Israel, zum Anschlag auf Hanija gab es bislang keine offiziellen Äusserungen dieser Art aus Jerusalem. Der Iran und die mit ihm verbündete Hamas machen den jüdischen Staat in beiden Fällen verantwortlich.

Die Führung in Teheran und die von ihr unterstützte Schiiten-Miliz Hisbollah drohten Israel mit massiver Vergeltung für die Anschläge. Die Regierung Benjamin Netanjahus warnte für diesen Fall vor schweren Konsequenzen. Es wird ein regionaler Flächenbrand befürchtet, sollten sich auch - wie von Teheran angekündigt - die mit dem Iran verbündeten Milizen in der Region beteiligen. Dazu zählen neben der Hisbollah im Libanon und der Hamas im Gazastreifen auch die Huthi im Jemen sowie Milizen im Irak und in Syrien.

Diplomaten in Teheran - G7-Beratungen über Video

Arabische Diplomaten sollen einem Zeitungsbericht zufolge in Teheran vorstellig geworden sein und sich dort für eine möglichst massvolle Reaktion auf die Attentate eingesetzt haben. Die iranische Führung habe den Emissären jedoch beschieden, es sei ihr gleichgültig, ob der geplante Vergeltungsschlag einen Krieg auslöst, berichtete das «Wall Street Journal» unter Berufung auf Personen, die mit den Inhalten der Gespräche vertraut seien.

In einer gemeinsamen Videokonferenz riefen die G7-Aussenminister alle Konfliktparteien zur grösstmöglichen Zurückhaltung auf, um eine zusätzliche Eskalation zu verhindern. Es brauche jetzt Dialog und Mässigung, sagte Italiens Aussenminister Antonio Tajani.

Deutschland bemüht sich ebenso um Deeskalation. In diesen Stunden stelle sich die Frage, «ob wir einen Ausstieg aus der Eskalationsspirale finden», teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin mit. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock habe am Freitag mit ihrem jordanischen Amtskollegen Aiman al-Safadi telefoniert, bevor dieser zu einem Gespräch in Teheran aufgebrochen sei. «Wir sprechen intensiv mit allen Partnern, die unsere Sorgen teilen.» Eine Eskalation sei vermeidbar.

Kremlchef Wladimir Putin schickte indes seinen Vertrauten Sergej Schoigu zu Gesprächen nach Teheran. Der Sekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrates sollte Fragen der regionalen und internationalen Sicherheit erörtern, wie russische Agenturen meldeten.

Unterstützung für Israel

Unklar bleibt, wann der angedrohte Vergeltungsschlag erfolgen könnte. Israel kann gleichzeitig fest mit der Unterstützung der USA und wohl auch anderer Verbündeter rechnen, wenn es darum geht, Raketen, Marschflugkörper und Drohnen des Irans sowie seiner Stellvertretergruppen mit modernen Abwehrsystemen abzufangen.

So war es bereits Mitte April beim ersten direkten Angriff von iranischem Boden auf Israel geschehen. Die meisten der Geschosse konnte Israel damals aus eigener Kraft und mit Hilfe der USA und anderer Verbündeter abfangen. Erst am Sonntag hatte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin seinem israelischen Kollegen Joav Galant in einem Telefonat «eiserne Unterstützung» bei der Selbstverteidigung zugesichert, wie das Pentagon mitteilte. Nun wird jedoch mit einer möglichen grösseren Beteiligung der libanesischen Hisbollah gerechnet, die über ein Arsenal von rund 150.000 Raketen verfügt.

Zwei Tote nach israelischem Angriff im Libanon - Chaos am Flughafen

Im Südlibanon wurden indes nach offiziellen Angaben zwei Menschen bei einem israelischen Angriff getötet. Die libanesische Staatsagentur NNA berichtete, unter den Opfern in dem Ort Meissa al-Dschabal sei auch mindestens ein Mitglied des Rettungsdiensts Risala. Die Hisbollah erklärte einen ihrer Kämpfer aus dem Ort für tot. Zuvor hatte es an der israelisch-libanesischen Grenze bereits gegenseitigen Beschuss gegeben. Dabei wurden in Nordisrael nach Armeeangaben zwei Soldaten leicht verletzt.

Am Flughafen der libanesischen Hauptstadt Beirut herrschte zugleich Chaos. Mehrere internationale Fluggesellschaften haben ihre Verbindungen in den Libanon aus Sorge vor einer Eskalation vorübergehend eingestellt.

Auf einer Krisenvorsorge-Liste für deutsche Staatsbürger im Libanon haben sich mittlerweile 2.100 Menschen registriert, wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte. In der vergangenen Woche waren es demnach erst 1.300 Menschen gewesen. Es sei allerdings nicht bekannt, wie viele davon aufgrund der dringenden Warnung des Auswärtigen Amtes in der vergangenen Woche mittlerweile aus dem arabischen Land ausgereist seien.

Die Lufthansa-Gruppe strich unterdessen weitere Flüge in die Krisenregion Nahost. So wurden etwa die Verbindungen nach Israel und Teheran für vier weitere Tage bis einschliesslich Montag, den 12. August ausgesetzt, wie der Konzern in Frankfurt berichtete.

Netanjahu droht iranischer «Achse des Bösen»

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte am Sonntagabend, der Iran versuche, Israel mit einem «Feuerring des Terrorismus einzukreisen». Netanjahu sagte ferner: «Wir sind bereit, ihnen an jeder Front entgegenzutreten - ob in der Nähe oder in der Ferne. Wer auch immer uns zu schaden versucht, wird einen hohen Preis bezahlen.»

Die jüngste Eskalation ist eine Folge des Kriegs, den Israel seit fast zehn Monaten gegen die Hamas im Gazastreifen führt. Dieser wiederum wurde durch das beispiellose Massaker ausgelöst, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres im Süden Israels verübten. Dabei töteten sie 1.200 Menschen und verschleppten weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen.

Israel setzte es sich zum Ziel, die Hamas als militärische und politische Organisation zu zerschlagen. Dem Krieg sind aber auch unzählige palästinensische Zivilisten im Gazastreifen zum Opfer gefallen. Israel steht deshalb weltweit umso stärker in der Kritik, je länger der Krieg dauert. Indirekte Verhandlungen Israels mit der Hamas, die zu einer Waffenruhe und Freilassung der Geiseln führen sollen, treten seit Monaten auf der Stelle.

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(AWP)