Der Anteilsverkauf kommt nicht unerwartet: Thyssenkrupp hatte die Verhandlungen mit Kretinsky über einen Einstieg ins Stahlgeschäft schon Ende November öffentlich gemacht.
Am Finanzmarkt starteten die Aktien nach der sich abzeichnenden Lösung eine Erholungsrally, zwischenzeit lag der Kurs zweistellig im Plus. Am frühen Nachmittag zogen die Titel im freundlichen MDax neun Prozent an. Analyst Moses Ola von der US-Bank JPMorgan sprach von einem ersten Schritt für das angestrebte gleichberechtigte Joint Venture. Die damit verbundene, vollständige unternehmerische Eigenständigkeit des Bereichs wäre der beste Weg für Thyssenkrupp, dessen Wert zu heben, die eigene Bilanz zu stärken und den Abfluss von Barmitteln zu stoppen.
Christian Obst von der Baader Bank sieht noch viele Fragen unbeantwortet. Sollten nach den massiven Abschreibungen im Schlussquartal 2023 nun keine neuen dazukommen, dürfte der Konzern von Kretinsky 350 bis 400 Millionen Euro für die Veräusserung des 20-Prozent-Anteils erhalten. Indes steige jetzt der Druck, zusammen mit dem neuen Partner eine langfristige Strategie zu definieren.
«Gemeinsam wollen wir ein leistungsstarkes, profitables und zukunftsorientiertes Stahlunternehmen schaffen», sagte Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López. Das Unternehmen werde die Kosten der Dekarbonisierung auf ein wettbewerbsfähigeres Niveau senken und so die grüne Transformation der Stahlindustrie auf dem Weg zur CO2-Neutralität beschleunigen. «Ein starker Energiepartner wie die EP Corporate Group ist dafür essenziell.»
Thyssenkrupp verwies auf den stark steigenden Energiebedarf bei der Umstellung auf klimafreundlichere Herstellungsverfahren. EPCG soll laut der Mitteilung als strategischer Partner seine Kompetenzen einbringen, um eine ausreichende Versorgung mit Energie in Form von Wasserstoff, Grünstrom sowie der Bereitstellung von anderen Energierohstoffen zu gewährleisten. Das in neun europäischen Märkten aktive Unternehmen bringe als Energiehändler, -versorger und -lieferant umfangreiche Branchenkenntnisse mit.
Neue Anlage kostet drei Milliarden Euro
Im März hat Thyssenkrupp begonnen, in Duisburg eine wasserstofffähige sogenannte Direktreduktionsanlage («DRI-Anlage») zu bauen, die einen Hochofen ersetzen soll. Bei dem Herstellungsverfahren werden deutlich weniger Treibhausgase freigesetzt als in Hochöfen. Die neue Anlage kostet rund drei Milliarden Euro, zwei davon übernehmen Bund und Land. Das Projekt trägt die Bezeichnung «tkH2Steel».
Der 48 Jahre alte Kretinsky zählt seit Jahren zu den reichsten Menschen in Tschechien. Sein Imperium umfasst die Branchen Energie, Industrie, Handel, Finanzen und Medien. Unter anderem gehören ihm in Ostdeutschland ganz oder in Teilen die Braunkohlekonzerne Mibrag und Leag, die künftig verstärkt klimaneutral erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen wollen. Auch der grösste Stromproduzent der Slowakei, Slovenske elektrarny, gehört zu seinem Firmenkonglomerat. Kretinsky ist auch grösster Anteilseigner des Grosshändlers Metro.
Die Übernahme des Steel-Anteils soll noch im laufenden Geschäftsjahr 2023/24 erfolgen, das am 30. September endet. Behörden und Aufsichtsrat von Thyssenkrupp müssen noch zustimmen. Auf die bestehenden Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge habe die Transaktion keinen Einfluss, betonte das Unternehmen. «Wir stehen zu unserem Wort», sagte López vor Journalisten.
Wie das «Handelsblatt» am Freitag berichtete, sehen die Konditionen vor, dass Kretinsky nach einem halben Jahr wieder aus dem Deal aussteigen könne, sollte er mit dem weiteren Verlauf des Konzerns unzufrieden sein - und zwar zum gleichen Preis. Dafür müssten bestimmte Kriterien zutreffen. Der Kaufpreis für die 20 Prozent liege im niedrigen dreistelligen Millionenbereich, heisse es von mit dem Vorgang vertrauten Personen - und somit unter dem Buchwert, schreibt das Blatt. Zum Kaufpreis wollte sich López in der Telefonkonferenz nicht äussern, zum Thema Ausstiegsklausel sagte er nur, dass es «Regelungen» gebe.
Im vergangenen Geschäftsjahr musste Thyssenkrupp Milliarden auf das Stahlgeschäft abschreiben, das unter einer schwachen Nachfrage sowie gesunkenen Preisen, gepaart mit höheren Kosten leidet. Thyssenkrupp hatte vor Kurzem den Abbau von Kapazitäten am Standort Duisburg angekündigt, der auch zu einem weiteren Stellenabbau führen wird. An den Plänen für die geplante Neuaufstellung wird EPCG laut López bereits mitwirken.
In der Sparte des Thyssenkrupp-Konzerns arbeiten rund 27 000 Menschen, davon 13 000 in Duisburg. Fast alle Standorte liegen in Nordrhein-Westfalen. López bekräftigte am Freitag das Ziel einer «wirtschaftlichen Selbstständigkeit» der Stahlsparte.
Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp äusserten sich kritisch zum geplanten Einstieg. Die Nachricht komme überraschend, sagte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des Mutterkonzerns Thyssenkrupp, Jürgen Kerner, laut einer Mitteilung. «Die Mitbestimmung hat nur wenige Stunden vor der Öffentlichkeit von der Entscheidung erfahren. Das ist kein guter Stil und kein guter Start.» Kerner ist auch stellvertretender IG-Metall-Vorsitzender.
Die Arbeitnehmerseite habe sich nie prinzipiell gegen einen Investor ausgesprochen. «Aber wir erwarten Beteiligung der Mitbestimmung auf Augenhöhe und verbindliche Zusagen», forderte Kerner. Nötig sei jetzt ein tragfähiges Zukunftskonzept für den weiteren Umbau Richtung grünen Stahl.
Die Krupp-Stiftung begrüsste den Einstieg von EPCG. Als grösste Anteilseignerin der Thyssenkrupp AG unterstütze man Entscheidungen, die zur zukunftsfähigen Entwicklung des Unternehmens beitrügen. «Die Stiftung hat grosses Vertrauen in den Vorstand um Miguel López und ist weiterhin von dem Potenzial des Unternehmens überzeugt, wieder wettbewerbs- und dividendenfähig zu werden.»/tob/DP/nas
(AWP)