Die Analysten von Vontobel erwarten am Donnerstag robuste Halbjahreszahlen von Nestlé. Der Nahrungsmittelkonzern werde die Preise weiterhin erhöhen, um der Inflation beizukommen. "Die grösste Unsicherheit ist, wie sehr das Volumenwachstum durch starkes Pricing und Shrinkflation beeinflusst wird", schreiben die Vontobel-Analysten in ihrer Vorschau zu den Halbjahreszahlen.

Auch die Kollegen bei der ZKB gehen davon aus, dass Nestlé dank starken Preiserhöhungen und des sich entschärfenden Inputkostendrucks im Gesamtjahr 2023 und erst recht 2024 wieder eine Verbesserung der Bruttogewinnmarge gelingen werde. Ein Umsatzwachstum von 6 bis 8 Prozent bei einer Marge von 17 bis 17,5 Prozent sei realistisch und sollte sich positiv auf den Aktienwert auswirken.

"Der aktuelle faire Wert liegt unserer Meinung nach bei 132 Franken je Aktie. Das entspricht einem Aufwärtspotenzial von 25,9 Prozent. Die verbesserte Margen- und Wachstumsqualität dürfte mittelfristig zu einer Höherbewertung gegenüber dem Sektor führen", schreiben die ZKB-Analysten in ihrer Vorschau. Von besonderer Qualität sei zudem die Dividende, die seit 1959 noch nie gekürzt worden ist. Für das laufende Jahr erwarten 11 Analysten im Schnitt eine Dividende von 3,09 Franken.

Veränderungen beim Produktportfolio

Nestlé hatte zum Jahresauftakt etwas weniger Lebensmittel verkauft - dies drückt entsprechend weiter auf den Aktienkurs und aktuell liegt der Valor mit 104,88 Franken auf einem Zweijahrestief. In den vergangenen Jahren zeigten sich laut den ZKB-Analysten auch einige Schwächen bei Nestlé. Enttäuscht habe etwa die Entwicklung im Bereich Babynahrung. Zudem gelte Nestlé teilweise als weniger agil als neue lokale und digitale Konkurrenten. Eine Gefahr sehen die Analysten in der Möglichkeit, dass Konsumentinnen und Konsumenten wegen der hohen Inflation zu günstigeren Produkten von lokalen Produzenten greifen - insbesondere in China und den Emerging Markets.

Entsprechend verkleinerte sich die Verkaufsmenge im ersten Quartal auf 0,5 Prozent des rekordverdächtigen 2,6 Prozent im Schlussquartal 2022. Und das organische Wachstum, das sich aus der Volumen- und der Preisentwicklung zusammensetzt, kam von Januar bis März bei 9,3 Prozent zu liegen. Dabei habe die Tierfuttermarke Purina am meisten zum Wachstum beigetragen, ebenso Kaffee und Süsswaren.

Zudem hat Nestlé eine aktive Portfoliobewirtschaftung vorgenommen, um auf Segmente zu fokussiert, die überdurchschnittlich schnell wachsen und über eine hohe operative Marge verfügen. Der Umsatzanteil von Kaffee, Heimtiernahrung und Nutrition ist seit 2010 von 44 auf 63 Prozent gestiegen. Auch Milchprodukte sowie Maggi sind attraktiv.

Wasser, Tiefkühlprodukte, Speiseeis und Süsswaren sind weniger attraktiv aus Margen-, Wachstums- und ESG-Überlegungen. Als weltweit grösster Nahrungsmittelkonzern habe Nestlé schon immer versucht, das Produktportfolio ständig anzupassen, wie die ZKB-Analysten schreiben. Wegen der schieren Umsatzgrösse von Nestlé benötige ein solcher Umbau jedoch Zeit. 

Würde sich Nestlé auf die margenstarken Bereiche fokussieren, läge die EBIT-Marge laut ZKB bei 18.6 Prozent und würde bis 2030 auf 20.4 Prozent steigen. Zudem würde das organische Umsatzwachstum von 5 auf 5.6 Prozent steigen. "Da die potenziell zu verkaufenden Bereiche starke Marken aufweisen, könnte ein Preis von rund CHF 35 Milliarden bis CHF 52 Milliarden gelöst werden (12% bis 18% der Börsenkapitalisierung), was Nestlé für weitere Aktienrückkäufe oder Übernahmen im Kerngeschäft einsetzen könnte", schreiben die ZKB-Analysten. Vor 18 Monaten hat Nestlé bereits damit begonnen, Aktien im Wert von 20 Milliarden zurückzukaufen. Der letzte Drittel des Rückkaufs soll bis Ende 2024 abgeschlossen werden. 

Bernstein-Analyst weniger optimistisch

Bernstein senkte das Kursziel für Nestlé im Juli von 116 auf 111 Franken. Die Einstufung lautet weiterhin "Market Perform". Im zweiten Quartal werde es im Sektor hinsichtlich Volumen wahrscheinlich mehrere Enttäuschungen geben, schreibt Analyst Bruno Monteyne mit Blick auf die Zahlenvorlage. Als Gründe nennt er unter anderem Vorteile, die die Unternehmen angedeutet hätten, sich nun aber wieder umgekehrt hätten, neueste Daten sowie einen wahrscheinlichen Abbau der Lagerbestände bei den Einzelhändlern. Bei Nestlé würden die Anleger seines Erachtens hinsichtlich der zukünftigen Wachstumsaussichten nervös und fragten sich, ob "das Beste vorbei ist", so der Analyst.

Wechsel an der Konzernspitze

Bei Nestlé kommt es in den nächsten Monaten zu Wechseln an der Konzernspitze. Der langjährige CFO François-Xavier Roger tritt ab und wird durch Anna Manz von der London Stock Exchange ersetzt. François-Xavier Roger habe sich nach acht Jahren als Generaldirektor und Chief Financial Officer entschieden, das Unternehmen zu verlassen und neue berufliche Herausforderungen anzunehmen, heisst es in einer Mitteilung.

Ausserdem kommt es zu einem Wechsel auf dem Posten des Head of Operations. Stephanie Pullings Hart ersetzt Magdi Batato, der Anfang 2024 in den Ruhestand treten wird. Frau Pullings Hart ist laut Mitteilung derzeit Senior Vice President of Operations bei Warby Parker und wird Anfang Juli 2023 als Deputy Head of Operations zu Nestlé zurückkehren.

(cash/AWP)