Wie viele Menschen in Deutschland von der Mindestlohnerhöhung profitieren, lässt sich nicht genau sagen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren aber im Oktober 2022 ungefähr sechs Millionen abhängig Beschäftigte (15 Prozent) im Niedriglohnsektor beschäftigt. Zum Niedriglohnbereich zählen demnach Jobs, in denen weniger als 12,76 pro Stunde gezahlt wird. Von der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro im Oktober profitierten den Angaben zufolge etwa 5,8 Millionen Menschen, die vorher weniger als 12 Euro die Stunde hatten. Zum 1. Januar 2025 soll der Mindestlohn dann um 41 Cent auf 12,82 Euro steigen.

Der Mindestlohn im Überblick

Einen Mindestlohn gibt es in Deutschland seit 2015 - Beschäftigte durften nach der Einführung nicht weniger als 8,50 Euro die Stunde verdienen. Schrittweise erhöhte sich in den folgenden Jahren die Lohnuntergrenze auf 12 Euro - über die Jahre ein Plus von 41 Prozent. Besonders grosse Anhebungen gab es 2022: In drei Schritten ging es von 9,60 Euro auf 12 Euro hinauf - zuletzt per Gesetz durch die Ampel.

Diesmal waren sich die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in der Kommission zum ersten Mal nicht einig über die Erhöhung. Die Gewerkschaftsvertreter hatten eine deutlich stärkere Mindestlohnsteigerung gefordert. Um das Patt zwischen beiden Seiten aufzubrechen, kam ein Passus des Mindestlohngesetzes zum Tragen: Die Kommissionsvorsitzende, Christiane Schönefeld, legte einen Vermittlungsvorschlag vor. Da dieser aber auch keine Mehrheit fand, übte Schönefeld ihr für diesen Fall vorgesehenes Stimmrecht aus und verhalf ihm zur Mehrheit. Die Gewerkschaftsseite wurde überstimmt.

Der Mindestlohn wird als Bruttobetrag angegeben - also vor Abzug von Steuern, Renten-, Kranken-, Pflege und Arbeitslosenversicherung. Wie viel davon netto übrig bleibt, hängt dann zum Beispiel von der Steuerklasse, dem Familienstand oder der Anzahl der Kinder des Mindestlohnbeziehers ab. Auch Minijobber haben Anspruch auf Mindestlohn. Für Azubis gibt es eigene Regeln. Bei Schülerjobs, «Orientierungspraktika» neben Studium oder Ausbildung, die weniger als drei Monate dauern, und «Pflichtpraktika» als Teil des Studiums besteht in der Regel kein Anspruch auf Mindestlohn.

Wenn ein Arbeitgeber weniger zahlt, obwohl ein Anspruch auf Mindestlohn besteht, drohen ihm Geldbussen bis zu 500 000 Euro. Ausserdem kann das Unternehmen von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Auf der Internetseite des Bundesarbeitsministeriums gibt es einen «Mindestlohn-Rechner»: Durch Eingabe des Bruttogehalts und der Wochenarbeitszeit lässt sich dort überprüfen, ob das Gehalt unter dem Mindestlohn liegt.

Der Mindestlohn im Vergleich zu Real- und Tariflöhnen

Trotz der hohen Inflation der vergangenen zwei Jahre können sich Mindestlohnbezieher heute mehr leisten als noch bei der Einführung 2015. Die Kaufkraft lag im September 2023 laut einer zuletzt veröffentlichten Studie des IAB 11,6 Prozent höher als bei der Einführung im Januar 2015. Damit hat die Entwicklung des Mindestlohns mittlerweile auch die der durchschnittlichen Tariflöhne überholt. Sie verloren der Studie zufolge seit 2015 rund 3,8 Prozent realen Wert.

Bis Januar 2022 war das noch anders, zeigen die Zahlen des IAB: Die Tariflöhne stiegen bis dahin sogar stärker an als der Mindestlohn. Seit der Corona-Pandemie hätten sich die Tariflöhne aber «relativ ungünstig entwickelt», sagt Bossler. Durch die hohe Inflation seien die Werte real sogar gesunken. Der Mindestlohn habe vor allem durch die Erhöhungen 2022 daher nicht nur die Inflation, sondern auch die Tariflöhne überholt. Ob der Rückstand der Tariflöhne wieder aufgeholt werden könne, würden die Tarifverhandlungen der kommenden Monate zeigen, so Bossler.

Was der Mindestlohn ausgelöst hat - und was nicht

Von der Einführung des Mindestlohns erhofften sich viele vor allem eine Verringerung der Lohnungleichheit in Deutschland. Etliche Forschungsarbeiten hätten gezeigt, dass das auch geglückt sei, sagt Bossler. Vor der Corona-Pandemie sei die Lohnungleichheit fast wieder auf das Level der 2000er Jahre zurück gegangen. Man sehe im Nachgang der Mindestlohneinführung hier einen «positiven Effekt».

Befürchtungen, die Unternehmen würden auf den höheren Mindestlohn mit einem Beschäftigungsabbau reagieren, hätten sich hingegen nicht bewahrheitet. Zu der letzten Erhöhung auf 12 Euro gebe es bislang war nur beschreibende Ergebnisse. «Die deuten aber nicht darauf hin, dass es zu einem massiven Beschäftigungsabbau durch den Mindestlohn gekommen ist», sagt Bossler. Die Vermutung der Experten sei, dass die Arbeitgeber die höheren Personalkosten stattdessen über höhere Preise an die Konsumenten weitergeben. Mit Erhöhungen müsse aber vorsichtig umgegangen werden, da ein Beschäftigungsabbau dennoch möglich sei.

Arbeitgeber warnen vor staatlichen Eingriffen

«Höhere Vergütungen sind immer eine Herausforderung - vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen», sagt der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter. «Sie können dem aktuellen Kostendruck zum Teil schon jetzt nur noch schwer Stand halten. Das gilt vor allem im Dienstleistungsbereich, wo wir klar lohngetriebene Preissteigerungen ebenso wie Betriebsschliessungen sehen.»

Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12,41 im Januar wertet Kampeter aber als «sinnvoll und vor allem massvoll». Sie orientiere sich an der Tarifentwicklung und schütze damit die Tarifautonomie. An staatlichen Eingriffen in den Mindestlohn übt der Verband scharfe Kritik. «Zentral ist für uns Arbeitgeber, dass der Mindestlohn nicht als Staatslohn in den freiheitlich verhandelten Lohn der Tarifverträge eingreift.»/jml/DP/he

(AWP)