In dem konkreten Fall verlangt die Vermögensverwaltung Union Investment von Wirecard Schadenersatz. Sie wirft dem einstigen Dax -Konzern vor, über Jahre ein nicht existentes Geschäftsmodell vorgetäuscht und seine finanzielle Lage falsch dargestellt zu haben. Hätten Anleger die Wahrheit gewusst, hätten sie keine Aktien gekauft, argumentiert die Investmentfirma. Sie hätten deswegen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Vermögensschadens.

Aktionäre als einfache Gläubiger?

Union Investment hat daher Ansprüche in Höhe von knapp 10 Millionen Euro zur Wirecard-Insolvenztabelle angemeldet. Doch Insolvenzverwalter Michael Jaffé bestreitet die Forderungen. Er hält die Forderungen von Gläubigern bei der Verteilung der Insolvenzmasse für vorrangig. Denn: Wirecard schuldet unter anderem kreditgebenden Banken und ehemaligen Angestellten viel Geld.

Aktionäre hingegen haben zwar Kursverluste erlitten, dem Konzern aber weder Geld geliehen noch sonstige Leistungen erbracht, für die Wirecard ihnen noch eine Zahlung schuldig wäre. Wären ihre Ansprüche gleichrangig, bekämen die übrigen Gläubiger sehr viel weniger Geld. Laut Insolvenzverwalter Jaffé sind die Aktionäre nur zu berücksichtigen, falls am Ende des Insolvenzverfahrens noch Geld übrig bliebe - wonach es aber nicht aussieht.

Milliarden-Forderungen im Insolvenzverfahren

Etwa 50.000 Wirecard-Aktionäre haben laut BGH Schadenersatz in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro zur Insolvenztabelle angemeldet. Insgesamt fordern die Wirecard-Gläubiger 15,4 Milliarden Euro. Die Insolvenzmasse beträgt aber nur rund 650 Millionen Euro. Voraussichtlich werden die Gläubiger also in jedem Fall nur einen sehr kleinen Teil ihrer Forderungen bekommen.

Nachdem sie am Landgericht München zunächst abgewiesen wurde, konnte die Klage von Union Investment auf Feststellung ihrer Forderungen zuletzt einen Erfolg verbuchen. Das Oberlandesgericht (OLG) München entschied im September 2024 in einem Zwischenurteil, dass Aktionäre ihre Ansprüche auf Schadenersatz als einfache Insolvenzforderungen geltend machen können.

Urteil könnte weitreichende Folgen haben

Eine höchstrichterliche Entscheidung gibt es zu dem Thema bisher noch nicht. Das anstehende Urteil aus Karlsruhe könnte daher auch über den Fall Wirecard hinaus bedeutende Auswirkungen für Insolvenzverwalter, Aktionäre, und andere Gläubigergruppen in Insolvenzverfahren haben, erklärt Elske Fehl-Weileder, Fachanwältin für Insolvenzrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun.

Sollte der BGH die Rechtsauffassung des OLG München bestätigen, würden Insolvenzverfahren in Zukunft womöglich komplizierter und aufwendiger, weil zusätzlich Forderungen von Aktionären geprüft werden müssten, sagt sie. Ausserdem könnten Banken und Investoren bei der Vergabe von Krediten zurückhaltender werden, wenn sie künftig im Insolvenzfall mit mehr konkurrierenden Forderungen rechnen müssten.

Zweite Runde in München

Wie der BGH am Ende auch entscheiden mag, fest steht: Das OLG München wird sich mit dem Fall noch einmal beschäftigen müssen. Denn der BGH klärt zunächst nur grundsätzlich, ob die Ansprüche der Aktionäre mit denen anderer Gläubiger gleichrangig sind. Sollte das Gericht zugunsten der Aktionäre entscheiden, müsste das OLG in einer zweiten Runde klären, wie hoch diese Ansprüche sind, sagt Rechtsanwalt Michael Rozijn.

Dann wird sich laut dem Experten für Gesellschaftsrecht auch die schwierige Frage stellen, wonach sich die Schadenshöhe bemisst - und wie sich überhaupt nachweisen lässt, dass die von Wirecard unterlassene Information tatsächlich den Kauf der Aktien und damit später den Verlust der Aktionäre verursacht hat. Bis unter das Wirecard-Insolvenzverfahren endgültig ein Schlussstrich gezogen wird, könnte es also noch einige Zeit dauern./jml/DP/zb

(AWP)