Der Bundesrat hatte das Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) gegen seinen Willen aufgrund einer Motion von Ständerat Erich Ettlin (Mitte/OW) geändert. Bundesrat Guy Parmelin plädierte eindringlich dafür, nicht auf die Vorlage einzutreten.
Sie sei verfassungswidrig, indem sie in die Kompetenz der Kantone zur Gestaltung ihrer Sozialpolitik eingreife. Privatrechtliche Verträge - und das seien GAV - würden über kantonale Gesetze und legitim gefasste Volksentscheide gestellt.
Die bürgerliche Ratsseite hingegen lobte in der Debatte die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Mit den kantonalen Mindestlöhnen entstehe ein Flickenteppich, und die GAV würden mit kantonal höheren Mindestlöhnen unterlaufen.
Druck auf Sozialpartner
Thomas Burgherr (SVP/AG) sagte für die Kommissionsmehrheit, kantonale Mindestlöhne würden die Sozialpartnerschaft einseitig unter Druck setzen. Die Schweiz sei ein einheitlicher Wirtschaftsraum, was auch für Lohnregelungen gelten sollte.
Die Sozialpartner könnten bei den GAV-Löhnen durchaus über kantonal festgelegte Beträge hinausgehen und dies auf Antrag durch den Bundesrat für allgemein verbindlich erklären lassen. So würden diese landesweit gelten. Marcel Dobler (FDP/SG) erklärte, Mindestlöhne seien Arbeitsplatzvernichter und behinderten den Berufseinstieg.
Die Vorlage stärke die GAV und damit die Sozialpartnerschaft, sagte Philipp Matthias Bregy (Mitte/VS). Durch den Beschluss entstehe zwar ein Spannungsfeld zwischen Demokratie und Sozialpartnerschaft. Es sei aber verfassungsmässig und entspreche dem Normengeflecht, dass das Parlament hier befinden könne. Es entscheide nicht über Volksentscheide, setze aber Schranken.
Attacke auf direkte Demokratie
Links-Grün verwies auf die Volkssouveränität, die Verfassung, den Föderalismus und ein Bundesgerichtsurteil. Die Vorlage sei eine Attacke auf die direkte Demokratie. Die Armutsbekämpfung sei gemäss Verfassung eine Aufgabe der Kantone, was das Bundesgericht bei den Mindestlöhnen Neuenburgs bestätigt hatte.
Alle Kantone - mit Ausnahme Obwaldens - und jede Gewerkschaft - immerhin die Hälfte der Sozialpartnerschaft - hätten sich in der Vernehmlassung gegen die Vorlage ausgesprochen. Letztlich seien GAV privatrechtliche Verträge und könnten rechtshierarchisch nicht über Volksentscheiden stehen.
SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (AG) bezeichnete das Gesetz als einen «parlamentarischer Putsch gegen die Lohnabhängigen». Es zeige, dass ein Volksentscheid nur gelte, wenn er der bürgerlichen Mehrheit passe. Unzureichende Löhne würden die negativen Folgen einfach der Allgemeinheit aufbürden.
Von einem Angriff auf die Armutsbekämpfung sprach Céline Widmer (SP/ZH). Löhne könnten nicht nur auf nationaler Ebene geregelt werden. Ob sie zum Leben reichten, hänge auch von regionalen Gegebenheiten ab. Letztlich würden solche regionalen Mindestlöhne auch gleich lange Spiesse zwischen ehrlichen Arbeitgebern und Ausbeutern schaffen. Die Vorlage geht an den Ständerat.
Bisher kennen die fünf Kantone Basel-Stadt, Genf, Neuenburg, Jura und Tessin kantonale Mindestlöhne. Einzig in Genf und Neuenburg richten sie sich nicht nach den GAV. Die Stadtbevölkerungen von Zürich und Winterthur sprachen sich mit Mehrheiten von über zwei Dritteln für lokale Mindestlöhne aus. Diese hob das Verwaltungsgericht auf.
(AWP)