Konkret beschloss die grosse Kammer nach einer animierten Debatte, die maximale Zeitspanne für die tägliche Arbeitszeit von 14 auf 17 Stunden zu verlängern. Die Mindestruhezeit soll von elf auf neun Stunden verkürzt werden. Vorgesehen ist dafür das explizite Recht auf Nichterreichbarkeit - und zwar für alle und nicht nur für jene Angestellten, die zu Hause oder ausserhalb ihres Betriebs arbeiten. Dieser Entscheid fiel mit 102 zu 86 Stimmen bei einer Enthaltung.

Sonntagsarbeit soll an höchstens neun Sonntagen für jeweils bis zu fünf Stunden bewilligungsfrei möglich sein. In diesem Punkt ging der Nationalrat über den Vorschlag seiner vorberatenden Kommission hinaus, welche sechs bewilligungsfreie Sonntage forderte.

Die flexiblere gesetzliche Regelung der Arbeitszeiten soll für jene Personen gelten, die ihre Arbeitszeit zu einem namhaften Teil selbst festlegen können. Denn nur sie könnten vom Anliegen der Vorlage profitieren, die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit möglichst gut zu gestalten, machte die Mehrheit geltend. Auf das Erfordernis einer schriftlichen Homeoffice-Vereinbarung soll verzichtet werden.

Vorlage mit langer Geschichte

Die Vorlage geht auf eine parlamentarische Initiative von Thierry Burkart (FDP/AG) im Jahr 2016 zurück, der beide Kommissionen Folge gaben. Nach der Corona-Pandemie präsentierte die Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK-N) einen Umsetzungsvorschlag, den der Bundesrat grundsätzlich befürwortet. Punktuelle Anpassungen des Obligationenrechts (OR) sind ebenfalls geplant.

In der Gesamtabstimmung hiess die grosse Kammer die Vorlage mit 119 zu 63 Stimmen bei 5 Enthaltungen gut. Die Fraktionen von SVP, Mitte, FDP und GLP sagten Ja. Die Vorlage passe das Arbeitsrecht an die aktuellen Gegebenheiten an, ohne den Gesundheitsschutz zu vernachlässigen, lautete der Tenor.

«Der Wunsch nach Homeoffice hat sich seit der Corona-Pandemie stark erhöht», sagte Kommissionssprecher Philipp Matthias Bregy (Mitte/VS). Das seit 1964 geltende Arbeitsgesetz sei jedoch noch auf fixe Arbeitszeiten, industrielle Arbeitsweisen und Produktionsprozesse zugeschnitten.

«Mehr Flexibilität und weniger Vorgaben»

Die bürgerliche Mehrheit verspricht sich von der Möglichkeit einer individuelleren Arbeitszeitgestaltung im Gesetz Vorteile für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie für Betreuungsaufgaben. Arbeitnehmenden könnten so ihre Arbeitszeiten individueller gestalten.

Im Arbeitsalltag gebe es heute viele Konflikte mit dem Arbeitsgesetz, sagte Marcel Dobler (FDP/SG). Der Gesetzgeber, also das Parlament, müsse deshalb Klarheit schaffen.

«Wir brauchen im heutigen Umfeld mehr Flexibilität und weniger Vorgaben», hielt Thomas Burgherr (SVP/AG) fest. Viele der vorgeschlagenen Änderungen würden seit Längerem in der Praxis gelebt. Laut Jürg Grossen (GLP/BE) ist die Vorlage «angemessen, ausgewogen und praxistauglich».

Linke ist empört

Starke Kritik und Ablehnung kommen aus dem linken Lager. SP und Grüne befürchten schlechtere Arbeitsbedingungen und weniger Gesundheitsschutz. «Dieser frontale Angriff auf die Arbeitnehmendenrechte ist beispiellos», sagte Emmanuel Amoos (SP/VS). Die Vorlage führe zu unnötiger Bürokratie und missachte sozialpartnerschaftliche und branchenspezifische Lösungen, doppelte David Roth (SP/LU) nach.

Auch die Grünen kritisierten die neuen Regelungen. Es gebe schon heute immer mehr Möglichkeiten für Arbeitnehmende, ihre Arbeitszeit flexibler zu gestalten, sagte Franziska Ryser (Grüne/SG). «Dazu braucht es diese Gesetzesänderungen nicht.»

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) kritisierte den Entscheid des Nationalrats in einer Mitteilung scharf. «Die Sonntage und der Feierabend von mehr als zwei Millionen Arbeitnehmenden sind bedroht.»

Nun ist der Ständerat am Zug. Die Gegnerinnen und Gegner haben bereits angekündigt, mit allen Mitteln gegen die Vorlage vorzugehen, sollte diese auch im Ständerat eine Mehrheit finden.

(AWP)