Der Fokus des Kampfgeschehens lag am Freitag weiterhin auf der Schlacht um Sjewjerodonezk. Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gaidai, sagte, er müsse leider einräumen, dass es der russischen Armee gelungen sei, tief in die strategisch wichtige Industriestadt im Osten der Ukraine vorzudringen. "Sie kontrolliert den grössten Teil der Stadt." Etwa ein Fünftel sei aber eine umkämpfte "Grauzone", in der die ukrainischen Kämpfer ausharrten und Russen aus einigen Strassen vertreiben konnten. "Ich würde also Skeptikern raten, Sjewjerodonezk nicht abzuschreiben. Dafür ist es noch zu früh. Die Stadt hält stand."

Russland hatte mit seiner Invasion am 24. Februar begonnen. Viele Experten rechneten anfangs damit, dass die Ukraine nach wenigen Tagen besiegt sein würde. Doch relativ schnell musste das russische Militär einige empfindliche Rückschläge einstecken. Im März etwa schlugen die Ukrainer Russland vor den Toren der Hauptstadt Kiew zurück, später gelang dies auch in Charkiw, der zweitgrössten Stadt. Russland verlagerte sich schliesslich verstärkt auf den Osten des Landes, wo es trotz heftiger Verluste zuletzt immer mehr Boden gutmachen konnte. Insgesamt kontrolliert Russland inzwischen etwa ein Fünftel der Ukraine.

Ukraine setzt auf westliche Waffenlieferungen

Doch die Ukraine gibt sich auch nach mehr als einem Vierteljahr Krieg kämpferisch. Hoffnungen ruhen dabei unter anderem auf die zugesagte Lieferung weiterer Waffen aus dem Westen, allen voran Mehrfachraketenwerfer der USA und Grossbritanniens. Ukrainische Soldaten würden an den Systemen bereits in Europa ausgebildet, sagte der zu einer Sicherheitskonferenz im slowakischen Bratsilava per Video zugeschaltete Verteidigungsminister Olexij Resnikow. Auf die Frage, wann die Ukraine in der Lage sein werde, die russischen Truppen zurückzuschlagen und aus der Ostukraine zu vertreiben, antwortete er: "Ich habe meine Tarotkarten zu Hause vergessen (…) Ich kann nicht definitiv vorhersagen, in welchem Monat wir sie rausschmeissen werden. Aber ich hoffe, dass es realistische ist, dies noch in diesem Jahr zu tun."

Russland versucht dagegen nach Einschätzung Resnikows, den Krieg in eine langwierige Phase zu bringen. "Anstatt vorzurücken, bauen die russischen Streitkräfte in den besetzten Gebieten im Süden des Landes, vor allem in Cherson, gestaffelte Verteidigungsstellungen auf."

Der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow machte klar, sein Land werde den von Moskau als Spezialoperation bezeichneten Einsatz fortsetzen, bis alle Ziele erreicht seien. Eines der Hauptziele sei der Schutz der Menschen in den östlichen Regionen Donezk und Luhansk. "Es wurden Massnahmen ergriffen, um ihren Schutz zu gewährleisten, und es wurden bestimmte Ergebnisse erzielt." Die beiden Donbass-Regionen werden teilweise schon seit 2014 von pro-russischen Separatisten kontrolliert. 

(Reuters)