Denn der Schutz vor einer Ansteckung ist die Voraussetzung dafür, dass in den Werken von BMW, VW und Daimler überhaupt Autos gebaut werden können. Es sei wichtig, dass die Mitarbeiter bei einer allmählichen Lockerung der Anti-Corona-Massnahmen ohne Sorgen um die Gesundheit an den Arbeitsplatz zurückkehren könnten, sagt Ergun Lümali, Betriebsratsvorsitzender des Mercedes-Werkes in Sindelfingen. "Wenn die Kolleginnen und Kollegen hier reinkommen, sollen sie den Eindruck haben, sie sind bei der Arbeit besser geschützt als draussen."

Seit der zweiten März-Hälfte stehen bei den deutschen Autobauern die Bänder still. Wegen fehlender Bauteile von Zulieferern, einbrechender Verkäufe und Gesundheitsbedenken der Arbeitnehmer mussten die Konzerne eine Vollbremsung hinlegen.

Massgeblich für die Entscheidung, wann es wieder losgehen kann, sind die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und die Vorgaben der Behörden. In welchem Umfang die Fertigung dann starten könne, hänge davon ab, ob die Lieferketten stabil seien und wann die Nachfrage in Gang komme, erläutert Lümali. "Wir werden langsam anfangen, korrigieren und wo notwendig nachjustieren, um unsere volle Auslastung schnellstmöglich zu erreichen."

Zurück zu alten Kapazitäten anspruchsvoll

Das Hochlaufen bis zur vollen Kapazität könnte Wochen und Monate dauern. "Der Shutdown liess sich kurzfristig mit erheblichen negativen Folgen umsetzen, der Hochlauf wird viel anspruchsvoller und Zeit benötigen", beschreibt die Chefin des Automobilverbandes VDA, Hildegard Müller, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Situation.

BMW verlängerte den Produktionsstopp in dieser Woche bis Ende April. Bei Volkswagen, Daimler, Audi und Porsche steht die Ampel derzeit bis 19. oder 26. April auf Rot. Mit Verschiebungen ist zu rechnen, wenn Bund und Länder die bis 19. April geltenden Beschränkungen zum Schutz vor Corona verlängern sollten.

Fiebermessen zuhause

Bei einer Telefonkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verabredete die Autoindustrie vorige Woche Insidern zufolge eine Arbeitsgruppe mit der Bundesregierung und Experten des Robert-Koch-Instituts, die Standards zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten in Fabriken entwickeln soll. In der Praxis werden viele Schutzmassnahmen schon vorbereitet und an ersten Stellen eingesetzt.

"Alle ziehen an einem Strang, um wieder in Gang zu kommen", sagt ein VW-Betriebsrat. Unternehmen und Betriebsrat arbeiteten in den Arbeitsschutzkommissionen sehr konstruktiv zusammen, erklärt auch Audi-Betriebsratschef Peter Mosch. "Wir suchen gemeinsam nach Lösungen, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen."

So ist im grössten VW-Komponentenwerk in Baunatal in dieser Woche auf ganz kleiner Flamme die Getriebeproduktion für Werke in China losgegangen. Rund 50 Kollegen starteten in drei Schichten an dem Standort, an dem sonst mehr als 15'000 Menschen beschäftigt sind, wie ein VW-Sprecher sagt.

Der Arbeitstag in Zeiten von Corona beginne mit Fiebermessen zu Hause, erzählt ein Arbeitnehmervertreter. Wer erhöhte Temperatur habe, bleibe weg. Wenn der Mindestabstand von anderthalb Metern am Arbeitsplatz nicht eingehalten werden könne, werde ein Mund-Nasen-Schutz aufgesetzt.

Die Schichten würden auseinandergezogen, damit sich die Mitarbeiter möglichst wenig begegnen. Es werde doppelt so oft geputzt und desinfiziert wie sonst, etwa in den Duschen, denn dort sei die Ansteckungsgefahr besonders gross.

Kleine Teams

Das BMW-Werk Landshut hat seine Produktion von Teilen für Antrieb und Karosserie für China sogar kontinuierlich fortgesetzt. Dabei würden alle Regeln zu Hygiene und Abständen nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts befolgt, erklärt der Münchner Autobauer.

"In den wenigen Fällen, in denen die Abstandsregeln temporär nicht eingehalten werden können, werden medizinische Masken ausgegeben." Kleine Teams von Mitarbeitern arbeiteten fest zusammen, um mit weniger Rotation die Ansteckungsgefahr zu bannen.

Produktionsstart mit angezogener Handbremse

Bei Daimler wird die Anfahrt mit Schichtbussen so organisiert, dass die Fahrgäste auf Distanz bleiben können. Ein Knotenpunkt ist die Zeiterfassung. Vor allem beim Ausstechen gibt es Stau. Womöglich könnte deshalb nur zu Arbeitsbeginn die Uhrzeit erfasst werden und nicht zum Arbeitsende. Pausen werden entzerrt, in den Kantinen wird ein Teil der Stühle weggeräumt.

Da das Arbeiten mit Mundschutz anstrengender sein könnte, wären häufigere Pausen notwendig, sagt Michael Häberle, Betriebsratschef im Mercedes-Komponentenwerk in Untertürkheim. "In der Produktion werden wir, dort wo es möglich ist, den Takt verändern und das Band mit einer kleineren Mannschaft besetzen, um die Abstandsregeln einzuhalten."

Die Montage im Audi-Werk Ingolstadt könnte am 20. April wieder anlaufen, sagt eine Sprecherin. Erfinderisch sind die Produktionsplaner in Sachen Infektionsschutz an den Plätzen, wo die Arbeiter den Abstand von anderthalb Metern nicht einhalten könnten.

Arbeiten unter Laborbedingungen

In der Türenvormontage beispielsweise stehen sich zwei Kollegen direkt gegenüber. Die Mitarbeiter hätten eine transparente Barriere aus Kunststofffolie entwickelt, die wie ein Vorhang auf und zu gezogen werden kann. Schutzvorhänge beim Einbau von Interieur könnten per Magnet innen am Dach des Autos für die Dauer des Arbeitsschritt befestigt werden.

Wie viele Wochen oder Monate die Autofabriken unter Laborbedingungen arbeiten müssen, vermag jetzt noch niemand zu sagen. Aber wie stark leidet darunter die Produktivität? Nach Einschätzung von Mosch nicht wesentlich: "Die Produktivität ist aus unserer Sicht nicht gefährdet." Sein Daimler-Kollege Häberle räumt ein: "Das ist ein Interessenskonflikt zwischen den Rahmenbedingungen der Arbeit und den wirtschaftlichen Erfordernissen. Es wird eine Kunst sein, hier die Balance zu finden." 

(Reuters)