cash.ch: Der Dollar hat in diesem Jahr gegenüber dem Franken über 5 Prozent zugelegt. Gibt es noch andere Gründe als die anstehenden Zinserhöhungen in den USA?

Renato Flückiger: Ja, da steht an erster Stelle der Krieg in der Ukraine. Aus Sicherheitsüberlegungen gab es Kapitalabflüsse aus dem Euro. Gegenüber dem US-Dollar sind diese deutlich kräftiger ausgefallen als gegenüber dem ebenfalls als sicherer Hafen geltenden Franken. Daraus resultierte auch für den Franken eine Abschwächung gegenüber dem Greenback.

Die US-Notenbank Fed wird die US-Leitzinsen am Mittwoch voraussichtlich um 0,5 Prozentpunkte anheben. Ist dies schon in den Devisenkursen eingepreist?

Ein solcher Schritt ist bereits vollständig in den Kursen eingepreist. Für die drei folgenden Notenbanksitzungen sind ebenfalls bereits halbprozentige Zinsschritte in den Kursen enthalten. Bis zum Jahresende werden in den folgenden Sitzungsterminen Erhöhungsschritte um jeweils ein Viertelprozent eskomptiert. Auch darüber hinaus wird noch mit weiteren Drehungen an der Zinsschraube gerechnet. Aus heutiger Sicht dürfte das Ende des Zinserhöhungszyklus in ungefähr einem Jahr erreicht werden.

Für die nächsten Monate erwarten die Märkte weitere Zinserhöhungen, zudem will die Fed ihre Bilanz abbauen. Erwarten Sie Turbulenzen an den Devisenmärkten?

Angesichts der hohen eingepreisten Zinserwartungen und der Kommunikation der Fed sind keine grösseren Verwerfungen am Devisenmarkt zu erwarten. Allerdings erscheinen die aktuellen Erwartungen als sehr ambitiös. Somit droht die grösste Gefahr bei einer unerwartet raschen Abkühlung der US-Wirtschaft, da in diesem Fall ein langsameres Vorgehen der amerikanischen Währungshüter den US-Dollar belasten würde. Wegen des Zinsunterschieds zu Franken und Euro wäre er aber auch dann noch gut abgestützt.

Wo stehen Sie den Dollar zum Franken Mitte Jahr und Ende 2022?

Bei 0,99 Franken respektive 0,96 Franken.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist in Sachen Zinserhöhungs-Tempo zurückhaltender. Dennoch gibt es Spekulationen, die EZB könnte die Zinsen schon im Juni erhöhen. Glauben Sie daran?

Nein, da die EZB an ihrer Sitzung von Anfang Juni erst einmal die Beendigung ihres Anleihekaufprogramms per Ende Juli beschliessen dürfte. Dies ist eine notwendige Vorbedingung, um danach erste Zinserhöhungen vorzunehmen. Somit macht die Ankündigung eines ersten Zinsschritts vor der Sitzung vom 21. Juli wenig Sinn. Zudem dürfte sich die EZB, aufgrund der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine schwer abschätzbaren Inflations- und Wirtschaftsentwicklung nicht vorzeitig aus dem Fenster lehnen wollen. Wir erwarten, dass die EZB im dritten und vierten Quartal 2022 schrittweise aus den Negativzinsenaussteigen wird.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) lässt aus Inflationsgründen eine gewisse Aufwertung des Franken zu. Wie lange wird sie diese Politik beibehalten?

Es gibt vorerst keinen Grund, diese Politik zu ändern, aber die SNB orientiert sich an den realen und nicht an den nominalen Wechselkursen. Allerdings soll die Wirkung dieser Politik längerfristig relativ bescheiden sein. Der starke Franken bremst zwar den Inflationsanstieg, doch es ist zu erwarten, dass auch die SNB in diesem Jahr die Zinsen erhöhen und im ersten Halbjahr 2023 den Ausstieg aus den Negativzinsen erfolgen wird. Ein Vorpreschen der SNB erwarten wir nicht, da sie sonst die hausgemachte Aufwertung des Frankens wieder mit ihren Deviseninterventionen abschwächen müsste.

Der Euro hat sich jüngst zwischen 1,02 und 1,04 Franken stabilisiert. Wo sehen sie das Währungspaar Mitte und Ende Jahr?

Bei 1,04 Franken respektive 1,02 Franken

Der brasilianische Real hat sich seit Jahresbeginn gegen den Dollar um 12 und gegen den Franken um 20 Prozent aufgewertet. Was sind die Gründe?

Als klassische Rohstoffwährungen profitiert der Real vom kräftigen Anstieg der Rohstoffpreise, welche die Lieferkettenprobleme und der Krieg in der Ukraine ausgelöst haben. Zudem hat die brasilianische Zentralbank bereits im Herbst letzten Jahres mit Zinserhöhungen begonnen und setzt ihren Straffungsprozess noch immer fort.