Bei ESFRI gehe es "um richtig grosse, gemeinsame internationale Projekte, die mehr als eine Milliarden Franken kosten können", sagt Christian Rüegg, Direktor des Paul Scherrer Instituts (PSI) im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Ein Land allein könne diese Kosten niemals tragen.

Beispiel eines solches Projekts ist der European XFEL - Grossforschungsanlage die ultrakurze Laserlichtblitze im Röntgenbereich erzeugt. Der Röntgenlaser selbst befindet sich in einer 3,4 Kilometer langen Tunnelanlage unter der Erde zwischen Hamburg und Schenefeld.

Mit den Röntgenblitzen lassen sich zum Beispiel atomare Details von Viren und Zellen entschlüsseln. Dank der gemeinsamen Planung im Rahmen von ESFRI sind mittlerweile 12 europäische Staaten daran beteiligt - auch die Schweiz mit dem PSI.

Sozialwissenschaftliches Projekt

Doch es geht nicht nur um High-Tech-Forschung. "Auch für die Sozialwissenschaften ist die Koordinierung von Grossprojekten im Rahmen von ESFRI extrem wichtig", sagt Georg Lutz, Direktor von FORS in Lausanne.

Er leitet eine nationale sozialwissenschaftliche Forschungsinfrastruktur, die unter anderem Daten archiviert. Diese Daten werden auch mittels Umfragen gesammelt, die europaweit unter gemeinsamen wissenschaftlichen Standards durchgeführt werden.

"Die grösste Umfrage läuft schon seit 20 Jahren in 27 europäischen Ländern." Da gebe es Fragen zu den verschiedensten Themen wie politische Einstellung oder Umweltverhalten. Über 200'000 Forscherinnen und Forscher nutzen diese Daten, erklärt der Politikwissenschaftler.

Strategische Forschung

Um die europaweite Planung von eben solchen Projekten kümmert sich ESFRI, das 2002 als informelles und unabhängiges Forum gegründet wurde.

Mit seinen Roadmaps legt das Forum fest, welche Forschungsprojekte und -Infrastrukturen strategisch wichtig sind. Das hilft, Geld und wissenschaftliche Exzellenz zu bündeln. "Damit wird Forschungspolitik deutlich strategischer", sagt Lutz.

Aktuell arbeitet das Forum an der Roadmap 2025. Daran können sich Schweizer Experten nun nicht mehr beteiligen. Denn seit dem 29. September letzten Jahres ist sie nämlich nicht mehr bei ESFRI dabei. Es sei eines der letzten Gremien gewesen, an dem die Schweiz noch voll beteiligt war, "und jetzt sind wir auch da noch rausgeflogen", ärgert sich der PSI-Direktor.

Damit sei die Schweiz von wichtigen Informationen abgeschnitten und könne mit wenigen Ausnahmen auch nicht mehr in den strategischen Arbeitsgruppen mitarbeiten, bedauern Lutz und Rüegg.

Zwar kann die Schweiz gemäss Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) weiter an grossen Infrastrukturen teilnehmen, weil die "Beteiligung auf völkerrechtlichen Vereinbarungen beruhen". Doch laut dem PSI-Direktor stösst man dann dazu, "wenn die wichtigen Entscheidungen bereits getroffen wurden."

Keine Handhabe

Dem Vernehmen nach ist es vor allem die EU-Kommission, die sich seit dem Abbruch der Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen gegen eine Weiterführung der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und dem Forum stemmt.

Sie pocht darauf, dass eine Teilnahme am Forum an "Horizon Europe" geknüpft ist. Doch die Schweiz "erfülle diese Bedingung nicht mehr", schreibt die EU-Kommission auf Anfrage. Aktuell werde zudem die Zusammenarbeit mit Drittstaaten grundsätzlich überarbeitet. Erste Resultate erwartet die EU-Kommission im Verlauf dieses Jahres.

Dagegen wehren kann sich die Schweiz nicht. Laut SBFI ist man jedoch "offen für Diskussionen hinsichtlich der Beteiligungsform der Schweiz". Sie sei gewillt, sich weiterhin für einen starken Europäischen Forschungsraum mit exzellenten europäischen Forschungsinfrastrukturen zu engagieren.

Im Raum steht möglicherweise ein Beobachter-Status. Rüegg bezeichnet dies jedoch als "nicht adäquat" angesichts der substanziellen Beiträge der Schweiz zur Realisierung solcher Projekte und der eigenen Forschungsinfrastrukturen.

Wenig Hoffnung

Hoffnung, dass sich die Situation zwischen Bern und Brüssel schnell verbessert und somit die Schweizer Forschung wieder voll an "Horizon Europe" teilnehmen kann, haben weder Lutz noch Rüegg. "Das Ganze ist sehr schmerzhaft für den Forschungsstandort", sagt Lutz.

Und Rüegg ärgert sich: "Wir verlieren in Europa jeden Tag an Effizienz." Angesichts der globalen Konkurrenz "müssen wir zusammenarbeiten und können uns kein politisches Hickhack leisten".

(AWP)