Der Burgfrieden bei Volkswagen zwischen VW-Konzernchef Herbert Diess und dem mächtigen Betriebsrat hat nicht lange gehalten. Erst im Juli war der Vertrag des Managers verlängert worden, nachdem er durch Streit mit der Arbeitnehmervertretung fast seinen Job verloren hätte. Hier Fragen und Antworten zum Konflikt:

WAS IST DER KERN DES KONFLIKTS?

Das mit rund 13'000 Produktionsmitarbeitern grösste Montagewerk der Kernmarke VW muss für den Umschwung zur Elektromobilität fit gemacht werden. "Ich mache mir Sorgen um Wolfsburg", rief Diess den Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung zu. Er hält die Produktion für nicht effizient genug im Kampf mit der immer härteren Konkurrenz um die von VW beanspruchte Marktführerschaft bei Elektroautos. Der VW-Boss hält seinen Leuten ständig den US-Elektroautopionier Tesla als leuchtendes Beispiel mit angeblich nur zehn Stunden Zeitaufwand pro Auto vor Augen. Bei VW soll es drei Mal so lange dauern, bis ein Auto vom Band rollt.

Mit der nahenden Eröffnung der ersten Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin steigt in der gut 200 Kilometer entfernten VW-Zentrale die Nervosität. Während einige VW-Werke schon in die Elektroära starten, soll es in Wolfsburg bislang erst 2026 mit der automatisch fahrenden Elektro-Modellreihe Trinity losgehen. Anlass des jüngsten Streits waren kolportierte Äußerungen von Diess zu womöglich 30'000 gefährdeten Jobs in Deutschland. Das nahm er zurück, sprach zuletzt aber von "etwas Personalabbau" im Stammwerk.

WAS ÄRGERT DEN BETRIEBSRAT?

Der Betriebsrat lehnt einen weiteren Stellenabbau ab. Die neue Chefin Daniela Cavallo verweist auf den 2016 vereinbarten Zukunftspakt, der sozialverträglichen Jobabbau sowie Beschäftigungssicherung für die Verbleibenden bis 2029 vorsah. Momentan stockt die Fertigung auch in Wolfsburg immer wieder wegen des Halbleiter-Mangels. Cavallo hielt Diess vor, mit seinen Spekulationen über einen Stellenabbau die Beschäftigten zu verunsichern. Unterdessen bekomme er weder die Chip-Versorgung in den Griff, noch habe er Lösungsvorschläge für den Wandel zu Elektromobilität und Digitalisierung.

Zur Veränderung seien Belegschaft und Betriebsrat bereit, "aber nur mit VW-Kultur" - das heißt mit Mitbestimmung der Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Der Betriebsrat fordert ein elektrisches Volumenmodell für Wolfsburg schon vor 2026. Cavallo muss sich im kommenden Jahr erstmals als neue Vorsitzende der Betriebsratswahl stellen.

WIE IST DIE LAGE IM AUFSICHTSRAT?

Der Aufsichtsrat setzt sich aus ebenso vielen Vertretern der Eigentümer wie der Arbeitnehmer zusammen. Kommt es zum Patt, hat der von den Eigentümern gestellte Aufsichtsratschef doppeltes Stimmrecht. Zweitgrößter Eigentümer nach den Familien Porsche und Piech ist das Land Niedersachsen, derzeit von einer SPD-geführten Koalition regiert. Ministerpräsident Stephan Weil soll sich nach einem Bericht des "Handelsblatt" von Diess distanziert, die Arbeitnehmervertreter dem VW-Boss das Vertrauen entzogen haben. Der Vermittlungsausschuss des Aufsichtsrats soll sich mit der Zukunft des Konzernchefs befassen, was Diess in eine brenzlige Lage bringen könnte.

Daher ist wichtig, auf welcher Seite Weil steht - als Sozialdemokrat ist er dem Betriebsrat zugeneigt, doch es redet auch der CDU-Koalitionspartner mit. In knapp einem Jahr ist Landtagswahl in Niedersachsen. Der Regierungschef rief auf der Betriebsversammlung zu Geschlossenheit auf: "Das Herz der niedersächsischen Industrie, das schlägt hier in Wolfsburg."

WIE KOMMT DAS AN DER BÖRSE AN?

Die VW-Aktie habe schon im vergangenen Jahr unter der Auseinandersetzung zwischen Diess und Cavallos Vorgänger, dem langjährigen Betriebsratschef Bernd Osterloh, gelitten, erklärt Daniel Schwarz, Analyst von Stifel Research. Der Streit um Diess sei eine Katastrophe für den Titel gewesen, urteilt Arndt Ellinghorst von Bernstein Research. "Wenn das wieder losgeht, tut das dem Unternehmen nicht gut, und das ist auch nicht im Sinne der Minderheitenaktionäre. Die Investoren sind wirklich nicht amüsiert." Alle Seiten sollten sich zusammenreissen, das Management seine ganz richtige Strategie zur Elektromobilität umsetzen, ergänzte Ellinghorst. "Die Anleger wünschen sich, dass alle Kräfte im Unternehmen gemeinsam den Wandel gestalten."

IST DIESS NOCH DER RICHTIGE AN DER VW-SPITZE?

Stifel-Analyst Schwarz sagt Ja. Er rechnet nicht mit Diess' Sturz und hält die Diskussion für das übliche Rumoren, das es bei VW meistens im Vorfeld der Planungsrunde gibt, in der über Milliardeninvestitionen entschieden wird. Diess sei näher an den Kapitalmarktakteuren als seine Vorgänger, sein Abgang wäre daher schlecht für VW. Ellinghorst dagegen sieht Fragezeichen. Jetzt komme es auf die Umsetzung an. Hier habe der VW-Boss noch nicht überzeugt. "Wandel braucht hin und wieder die Brechstange, aber bei der Umsetzung muss das Management integrierend wirken." Er sei überrascht, dass Diess nach der Einigung mit dem Betriebsrat schon wieder von Stellenabbau spreche. Dabei müsse er die weltweit 670'000 Beschäftigten im Umbruch mitziehen.

WELCHE ALTERNATIVEN GIBT ES ZU DIESS?

Porsche-Chef Oliver Blume (53) wird schon länger als Nachfolger von Diess (63) gehandelt. Er führe erfolgreich die Sportwagenschmiede, die neben Audi Hauptgewinnbringer ist. Das mache ihn ebenso wie Audi-Chef Markus Duesmann zum Kandidaten, sagt Analyst Schwarz. An der VW-Spitze müsse jemand stehen, der von innen kommt, den riesigen Konzern kennt, sich mit dem Betriebsrat auseinandersetzen kann - und vor allem das Vertrauen des Grossaktionärs, den Porsches und Piechs, genießt, sagt Ellinghorst und nennt VW-Markenchef Ralf Brandstätter (53). 

(Reuters)