Wie, wann und letztlich auch ob Grossbritannien aus der Europäischen Union austritt, ist nach wie vor nicht zuverlässig prognostizierbar. Allerdings verfolgt die Regierung unter Boris Johnson, der im Juli Premierminister geworden ist, nun konsequent die Möglichkeit eines Brexit ohne Austrittsabkommen. Diese gezielt nach Aussen gezeigte Entschlossenheit hat dazu geführt, dass die Finanzmärkte den "No-Deal-Brexit" wieder für wahrscheinlicher halten. 

Falls das EU-freundliche britische Parlament nicht mehr dazwischenfunken kann, und falls es keine neuen Verhandlungen zwischen London und Brüssel mehr geben wird, verlässt das Vereinigte Königreich die EU am 31. Oktober ohne Deal. Inwiefern dann die wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Ländern noch klar geregelt wären, ist unklar. Grossbritannien müsste sich wohl auf ein Geflecht aus Einzelabkommen stützen.

Die Schweiz, für die das Verhältnis zu Grossbritannien derzeit über die bilateralen Beziehungen läuft, hat eine Reihe von Nachtrittsregelungen für diesen Fall verhandelt. Diese würden bilateral in Kraft gesetzt.

London muss aktiv werden

Betroffen vom Brexit wäre auch die Schweizer Börse. Inmitten des Streits um das Rahmenabkommen Schweiz-EU – der gewisse Parallelen zum Brexit-Drama hat – sistierte Brüssel auf den 1. Juli die EU-Anerkennung der Schweizer Börse. Die Schweiz reagierte mit dem Verbot des Handels von Schweizer Aktien an EU-Handelsplätzen und bezeichnet dies offiziell als Schutzmassnahme für die Börse. Betroffen ist davon namentlich auch der Handelsplatz London, da Grossbritannien derzeit noch EU-Mitglied ist.

Auch bei einem ungeregelten Brexit würde Grossbritannien zunächst EU-Regelungen beibehalten, damit auch die Nicht-Anerkennung der Äquivalenz der Schweizer Börse. Als nunmehr souveräner Staat könnte das Vereinigte Königreich dies aber jederzeit ändern. Die Behörden in London müssten in diesem Fall aktiv die Wiederanerkennung der Schweizer Börse beschliessen. Eine offene Frage ist, ob dies für die Regierung und die Finanzaufsicht in Grossbritannien Priorität hätte.

EU-Recht könnte weiter gelten

Falls die Anerkennung unter diesen Umständen nicht gewährt würde, würde die Schweiz die Schutzmassnahmen nach Auskunft des Staatsekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) explizit auf Grossbritannien ausweiten. Es bliebe damit beim Zustand, wie er seit Anfang Juli herrscht.

Bei einem geregelten Austritt würde sich innerhalb einer Übergangsfrist - voraussichtlich bis Ende 2020 - nichts ändern. Erst danach wäre der Status der Schweizer Börse aus britischer Sicht Teil einer bilateralen Regelung.

Als Nicht-EU-Mitglied hätte Grossbritannien in Fragen der Anerkennung des Börsenhandels eine ähnliche Stellung wie die USA. Beteiligungspapiere von Unternehmen mit Sitz in der Schweiz werden in den USA und einigen anderen Ländern gehandelt. Einschränkungen dazu bestehen nach Wissensstand des SIF nicht. Börsenbetreiber können Schweizer Aktien in ihren Ländern anbieten.

SIX will volle Anerkennung zurück

Die SIX ist nach eigener Aussage an offenen Märkten und an Rechtsicherheit interessiert. Das Finanzdienstleistungsunternehmen, das auch die Schweizer Börse SIX betreibt, will eine Wiederherstellung der Börsenäquivalenz mit der EU erreichen.

Grossbritannien fällt insofern besonders ins Gewicht. Etwa drei Viertel der Schweizer Aktien, die vor der Aberkennung der Börsenäquivalenz in der EU gehandelt wurden, fanden ihre Käufer und Verkäufer im Finanzplatz London. Die Schutzmassnahmen der Schweiz haben in den vergangenen eineinhalb Monaten dazu geführt, dass sich das Handelsvolumen an der Börse SIX erhöht hat.