Eineinhalb Jahre nach dem endgültigen Vollzug des Brexit gibt es erneuten Streit zwischen der Europäischen Union und der britischen Regierung über das sogenannte Nordirland-Protokoll. Seit dem 1. Januar 2021 ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion. Ausgenommen davon ist die britische Provinz Nordirland, was in einem Zusatzprotokoll festgehalten wurde.

Was sagt das Protokoll?

Seit Ende des Übergangszeitraums unterliegt Nordirland einer begrenzten Zahl von EU-Vorschriften im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt für Waren und der Zollunion. Beispielsweise gilt der Zollkodex der Union für alle nach Nordirland oder von dort verbrachten Waren. Dies soll den EU-Binnenmarkt schützen und verhindern, dass es zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland wieder eine harte Grenze gibt. Für diesen Fall wird ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen irischen Nationalisten und britischen Royalisten in Nordirland befürchtet. Daher gehört Nordirland faktisch weiter zum EU-Binnenmarkt. Als Konsequenz müssen von der britischen Insel in die Provinz gelieferte Waren kontrolliert werden. Zudem muss garantiert sein, dass die Standards der EU etwa in Gesundheits- oder Umweltfragen eingehalten werden.

Was will London?

Der britischen Regierung ist das zunehmend ein Dorn im Auge, weil sie eine schleichende Abspaltung Nordirlands von Grossbritannien fürchtet. Das sehen auch die britischen Nationalisten in der Provinz so. Die katholisch-nationalistische Partei Sinn Fein errang bei der Parlamentswahl in der britischen Provinz im Mai einen historischen Sieg und rief umgehend zu einer neuen Debatte über eine Vereinigung mit der Republik Irland auf. Daher will die Regierung in London jetzt, dass die Kontrollen zwischen Nordirland und Grossbritannien mehr oder weniger abgeschafft werden, um den aus ihrer Sicht drohenden Spaltpilz verschwinden zu lassen. Geplant ist unter anderem ein Kennzeichnungssystem für die Einfuhr von Waren, bei dem Grün für Produkte gilt, die im Vereinigten Königreich - also in Nordirland - bleiben, und Rot für Exporte in die EU, konkret also nach Irland.

Was sagt die EU?

Die EU verweist darauf, dass das Nordirland-Protokoll als Teil der Vereinbarung zum Brexit internationales Recht ist und daher eingehalten werden muss. Eine Neuverhandlung lehnt die EU-Kommission ab. Dies würde nur zu Rechtsunsicherheit für die Menschen und Unternehmen in Nordirland führen, wird in Brüssel argumentiert. Die Drohung mit Sanktionen gegen Grossbritannien steht im Raum, was letztlich zu einem Handelskrieg führen könnte. Allerdings ist man in Brüssel an einer Eskalation nicht unbedingt interessiert. Daher soll zunächst geprüft werden, ob ein auf Eis gelegtes Vertragsverletzungsverfahren gegen Grossbritannien wieder aufgenommen wird.

Auch die Bundesregierung plädiert dafür, hart zu bleiben. Bundeskanzler Olaf Scholz drohte der britischen Regierung bereits mit weitreichenden Konsequenzen. Die EU werde sehr einheitlich reagieren, sagte Scholz am Montag. "Und sie hat ihren ganzen Instrumentenkasten dafür zur Verfügung." Für das Vorgehen der Regierung in London gebe es "keinen Anlass". Auch Aussenministerin Annalena Baerbock schrieb auf Twitter: "Wir werden geschlossen auf diesen Vertrauensbruch reagieren."

(Reuters)