In den festgefahrenen Brexit-Verhandlungen nehmen sich Grossbritannien und die EU noch mehr Zeit, die sie eigentlich nicht haben. Das gemeinsame Essen von Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwochabend brachte keinen Durchbruch. Als neue Frist wurde Sonntag genannt. Dann soll sich entscheiden, ob ein Handelsabkommen für die Zeit ab Januar 2021 möglich ist.

Die EU-Kommission schlug am Donnerstag zeitlich begrenzte Massnahmen vor, um Störungen im Flug- und Strassenverkehr zwischen der Europäischen Union und Grossbritannien zu vermeiden, sollten die Brexit-Verhandlungen tatsächlich scheitern. So sollen bis Mitte 2021 bestimmte Flugverbindungen aufrechterhalten werden.

Auch mit Blick auf den Güter- und Personenverkehr auf der Strasse sollen Vorkehrungen getroffen werden. Zudem wird angeregt, einen "angemessenen rechtlichen Rahmen" zu schaffen, der Fischern aus der EU und Grossbritannien auch nach dem 31. Dezember Zugang zu den jeweils anderen Gewässern erlaubt. Es sei wichtig, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, sagte von der Leyen.

Steinbutt und eine turbulente Diskussion

Die deutsche Kommissionschefin bezeichnete das Abendessen mit Johnson, an das im Vorfeld Hoffnungen auf Fortschritte geknüpft waren und bei dem Steinbutt serviert wurde, als lebhaft. "Es war eine gute Unterhaltung, aber es ist schwierig." Bis Sonntagabend soll nun auf Ebene der Chefunterhändler weitergearbeitet werden. "Wir werden bis zum Ende des Wochenendes zu einer Entscheidung kommen", so von der Leyen. Allerdings wurden Fristen in der Vergangenheit immer wieder gerissen und durch neue ersetzt. Schon jetzt aber dürfte die Zeit, um ein Abkommen noch dieses Jahr in den Parlamenten zu ratifizieren, kaum reichen.

Bei dem Dinner in Brüssel habe man eine klare Vorstellung von den jeweiligen Positionen gewonnen, die nach wie vor "weit auseinander liegen", sagte von der Leyen. Grossbritanniens Aussenminister Dominic Raab forderte in einem BBC-Interview Zugeständnisse der EU. "Der Sonntag, denke ich, wird ein wichtiger Moment."

Strittig sind vor allem die Fischereirechte, Garantien für einen fairen Wettbewerb sowie ein Mechanismus zur Streitschlichtung im Falle von Verstössen gegen das geplante Abkommen. Ein Johnson-Sprecher sagte, Grossbritannien wolle helfen, Differenzen zu überwinden. Das Königreich könne aber keinem Abkommen zustimmen, das seine Souveränität nicht respektiere.

Keine lange Debatte beim EU-Gipfel

Vor Beginn des Gipfels der 27 Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel sagte von der Leyen, es gehe um den Schutz des europäischen Binnenmarktes mit seinen 450 Millionen Konsumenten. Grossbritannien solle weiterhin ein Zugang gewährt werden, aber nur bei fairen Bedingungen. Hier sei noch keine Balance gefunden worden. EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte, wegen der laufenden Verhandlungen solle es beim Gipfel keine lange Debatte über den Brexit geben.

Grossbritannien war Ende Januar offiziell aus der EU ausgetreten, der das Königreich zuvor seit 1973 angehört hatte. Am 31. Dezember endet die Übergangsphase, in der Grossbritannien noch EU-Regeln anwenden muss. Danach droht ohne ein Handelsabkommen Chaos. Experten rechnen dann mit höheren Zöllen auf viele Produkte sowie langen Wartezeiten an der Grenze. Der Chairman der britischen Supermarktkette Tesco warnte vor steigenden Preisen, sollte kein Kompromiss gefunden werden.

(Reuters)