Schon Ende letzten Jahres wurde bekannt, dass die EU-Kommission die Entwickelung von neuen Antibiotika mit so genannten Vouchern fördern möchte. Denn immer mehr Erreger werden weltweit resistent gegen bekannte Antibiotika. Das hat zur Folge, dass leicht behandelbare Infektionen zu tödlichen Krankheiten werden können.

Gleichzeitig ist die Antibiotika-Forschung aber wenig lukrativ: Sie ist nicht nur teuer, auch würden neu entwickelte Antibiotika als Reserve im Schrank verschwinden und erst in Gebrauch gebracht, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirkten.

In der Schweiz entwickelte der Bund 2015 daher eine Strategie gegen Antibiotikaresistenz. Auf privatwirtschaftliche Initiative aus der Wissenschaft, der Politik und der Pharmaindustrie hin wurde zudem ein "Runder Tisch Antibiotika" gegründet.

Die daran beteiligten Fachleute bevorzugen auf nationaler Ebene nicht das Voucher- sondern das "Subscribe"-Modell zur Förderung der Antibiotika-Entwicklung. Dieses Modell sieht fixte Preise für ein Medikament vor, unabhängig von der konsumierten Menge.

Verlängerte Marktexklusivität

Auf EU-Ebene zeigt nun ein durchgesickerter Entwurf der neuen Pharmagesetzgebung, welcher der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vorliegt, wie die EU-Kommission das Voucher-Modell im Detail ausgestalten möchte.

So soll ein Pharmaunternehmen nur dann einen Voucher für ein neu entwickeltes Antibiotikum erhalten, wenn dieses bestimmte Innovationskriterien und weitere Bedingungen erfüllt. Den Voucher kann das Unternehmen entweder selbst nutzen oder weiterverkaufen.

Der Voucher selbst setzt beim Datenschutz an: Die Brüsseler Behörde schlägt einen Datenschutz von sechs anstatt acht Jahren wie heute vor. Neu soll es aber die Möglichkeit von Verlängerungen von bis zu zwei Jahren geben. Hinzu kommt dann noch ein zweijähriger Marktschutz. Im Maximalfall ist damit ein neu entwickeltes Medikament zehn Jahre geschützt. In dieser Zeit kann kein Generikum, also kein Nachahmermedikament, auf den Markt gebracht werden.

Dank des Vouchers kann dann der Schutz vor Konkurrenz nochmals um ein Jahr verlängert werden - also insgesamt auf elf Jahre. Das klingt zwar nach wenig, doch weil der Voucher auf irgend ein beliebiges Medikament angewendet werden kann, dürften die Pharmaunternehmen diesen für einen ihrer Blockbuster nutzen.

Kritik aus Konsumentenkreisen

Während sich die Pharmaindustrie dem Vernehmen nach dafür einsetzt, dass die Bedingungen so abgeändert werden, dass sie für möglichst viele neue Antibiotika Vouchers erhält, kritisiert die Europäische Konsumentenorganisation (BEUC) das Voucher-Modell. Sie geht davon aus, dass dadurch "grosse Kosten auf die Gesundheitssysteme in der EU" zukommen werden. Wie hoch diese Mehrkosten für die Gesellschaft sein werden, lässt sich zwar nicht genau berechnen.

Die BEUC geht jedoch davon aus, dass die Anwendung eines Vouchers auf das Medikament Humira zusätzliche Kosten von einer Milliarde Euro für die EU-Gesundheitssysteme auslösen würde. Humira wird bei schweren chronischen Plaque-Psoriasis bei Kindern und Jugendlichen verwendet. Oder das Krebsmedikament Herceptin: Dieses würde laut BEUC 600 Millionen Euro Mehrkosten verursachen.

In einem Kommentar in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" vom 9. Februar 2023 heisst es, Schätzungen zufolge würden die Kosten pro Voucher auf 350-840 Millionen Euro für die EU-Länder geschätzt. Dies ergebe sich aus der Differenz zwischen dem Marktmonopol und etwa dem Preis eines Generikums. Die Kommentatoren gehen jedoch davon aus, dass die Schätzungen zu tief sind, da es sich um Zahlen aus von der Industrie finanzierten Berichten handelt.

Widerstand von 14 EU-Staaten

Auch 14 EU-Staaten - quasi die Hälfte der Mitgliedstaaten - äussern sich kritisch über das Voucher-Model, wie aus einer Stellungnahme an die EU-Kommission hervorgeht, die Keystone-SDA vorliegt. Auf Initiative der Niederlande haben diese auch Belgien, Finnland, Frankreich, Irland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Slowakei und Slowenien unterzeichnet.

Die EU-Länder kritisieren das Voucher-Modell als "indirekte, nicht-transparente Form der Finanzierung" und fordern anstelle, dass es "direkt finanzierte Anreize" brauche, wie es darin heisst.

(AWP)