cash.ch: Herr Hartmann, in der Geschichte gibt es unzählige Beispiele von Wirtschaftskrisen. Warum passt die Corona-Krise mit seiner scharfen Erholung in kein historisches Schema?

Daniel Hartmann: Die Corona-Krise hat eher den Charakter einer Naturkatastrophe. Es ist keine Rezession im herkömmlichen Sinne. Wir hatten vor der Krise keine Ungleichgewichte. Bei der Finanzkrise war der Crash der Übertreibung am Immobilienmarkt und der ausufernden Verschuldung geschuldet, während für die Corona-Krise ein exogener Schock der Auslöser gewesen ist. 

Die zweite Corona-Welle und die Lockdowns sowohl in den USA als auch in der Eurozone haben die Wirtschaftserholung zwar unterbrochen. Wenn die Pandemie jedoch besiegt ist, dann wird es schnell wieder nach oben gehen.

Die Staaten haben in der Krise zudem gigantische Fiskalprogramme zur Stützung der Wirtschaft aufgegleist...

In der Tat. Normalerweise sinkt das Einkommen in einer Rezession, weil die Arbeitslosigkeit steigt. Eine Abwärtsspirale kommt in Gang und das Vertrauen sinkt. Dieses Mal haben die Staaten massiv dagegengehalten. Als Folge ist in den USA das Einkommen der Bevölkerung nicht gesunken, sondern sogar angestiegen.

Das ungebrochene Vertrauen in die Zukunft sieht man auch an den Aktienmärkten, die auch im neuen Jahr den Aufwärtstrend fortsetzen.

Die Marktteilnehmer sehen wegen der Impfstoffe das Krisenende vor sich. Es besteht keine langjährige Vertrauenskrise, wie wir sie bei der Finanzkrise erlebt haben. Mehr noch, die Fiskalprogramme werden Nachwirkungen haben und die Wirtschaftserholung befeuern. Zusätzlich zu den drei Billionen Dollar, die man letztes Jahr schon verabschiedet hat, kommt unter Joe Biden ein weiteres Programm im Umfang von zwei Billionen Dollar auf den Tisch. Dies sind gewaltige Summen , die im Feuer stehen - mehr als 20 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts. Und die Eurozone hat den Wiederaufbaufonds, der erst jetzt richtig startet und insbesondere Südeuropa grosse Summen zur Verfügung stellt.

Die grosse Frage: Was sind die Auswirkungen auf die Inflation?

Unsere Inflationsschätzung liegt über dem Konsens. Wir gehen sowohl für die Eurozone als auch für die USA davon aus, dass die Inflation zügig wieder zwei Prozent erreichen wird. Wir glauben entgegengesetzt zur vorherrschenden Meinung, dass sich in vielen Wirtschaftsbereichen schnell Kapazitätsengpässe einstellen werden. Preissteigerungen werden die Folge sein. Aktuell herrscht zum Beispiel in der Autoindustrie ein Engpass bei Computerchips, da die Chiphersteller von einer sinkenden Nachfrage in der Krise ausgegangen sind. Sie wurden überrascht, wie stark die Nachfrage geblieben ist. Ein plastisches Beispiel wird auch der Flugverkehr sein. Viele Flugzeuge sind praktisch eingemottet und können nicht so schnell reaktiviert werden. Die Nachfrage nach Reisen wird aber relativ bald wieder nach oben schnellen. 

Und die Fiskalprogramme werden die Nachfrage noch befeuern…

Ja, es werden überall grosse Infrastrukturprojekte in Gang gesetzt. Zum Teil auch, um Klimaziele zu erreichen. Dies wird im Bau-, Immobilien- und Handwerksektor zu Preissteigerungen führen. 

Auch der bestehende «Deglobalisierungstrend» fördert die Inflation…

Genau. Dies ist ein Teil unserer langfristigen Prognose. Wir sprechen über einen langwierigen Prozess, der schon vor Corona in Gang gekommen ist. Viele Unternehmen haben gesehen, dass ihre Lieferketten zu komplex sind. Die Unternehmen wollen daher die Produktion wieder stärker regionalisieren, grössere Lagerbestände anlegen und bewusst für das gleiche Zulieferprodukt mehrere Lieferanten haben. Dies verteuert den Produktionsprozess.

Was bedeutet die steigende Inflation für den Markt?

Das Umfeld wird insgesamt schwieriger, wenn Inflation aufzieht und für eine längere Zeit bleibt. Wir sprechen nicht von einer zehnprozentigen Inflation, sondern dass wir öfters zwei, drei oder vier Prozent sehen werden. Die Notenbanken werden als Reaktion die Leitzinsen anheben müssen. Dies wird mit einem moderaten Renditeanstieg einhergehen und an den Anleihemärkten für Kursverluste sorgen. Für die Aktienmärkte bedeutet dies ebenso nichts Gutes, weil die relative Attraktivität von Aktien Einbussen erleiden wird. Wir kommen in ein Umfeld, das wir in den 70er Jahren schonmal hatten. Steigende Renditen und steigende Inflation sind für die klassischen Anlagen ungünstig. Es ist zudem klar, dass die Liquiditätsschwemme irgendwann einmal abebben muss. Bis anhin war diese stützend für alle Anlageklassen, doch dieser Rückenwind wird abnehmen.

Dieses Jahr sind die Vorzeichen für den Aktienmarkt mit der Wirtschaftserholung doch positiv…

Tatsächlich sollten wir 2021 ein deutliches Plus an den Aktienmärkten sehen. Doch danach wird es viel schwieriger werden, wenn sich die Inflation auf vergleichsweise hohem Niveau verfestigt.

Anleger haben noch ungefähr ein Jahr Zeit, um ihre Portfolios krisenfest zu machen?

Das gilt zumindest dann, wenn die Impfkampagne gelingt und sich in der Folge ein kräftiger konjunktureller Aufschwung etabliert.

Wie können Anleger in Zukunft trotzdem eine gute Rendite erzielen?

Investoren müssen in der Zukunft ihre Anlagen aktiver bewirtschaften. Eine gute Titelauswahl bei Aktien wird wichtiger als in der Vergangenheit. Es werden sich Aktien von Unternehmen durchsetzen, die gut geführt werden und gute Bilanzen haben sowie von langfristigen strukturellen Trends profitieren. Es braucht Qualität. Wir werden seltener eine Situation sehen, wo der Gesamtmarkt ansteigt und es eigentlich fast egal ist, welche Aktien ein Investor kauft.

Bei den Anleihemärkten bieten sich dann Chancen, wenn die Renditen wieder etwas an Höhe gewonnen haben. Bis dahin stehen erst mal Kursverluste ins Haus. In dieser Phase müssen Investoren ihre Portfolios aktiv steuern und Anleihen mit kürzeren Laufzeiten wählen. Alternativ bieten sich inflationsgeschützte Staatsanleihen an, die in diesem Umfeld gut performen. Auch die Anleihemärkte in den Schwellenländern sollten attraktiv bleiben, da dort bereits jetzt ein höheres Renditeniveau vorherrscht. Das hervorstechende Beispiel ist China, wo Investoren selbst bei Staatsanleihen eine dreiprozentige Rendite bekommen.

Wo finden Anleger Qualitätsaktien?

Unternehmen, die im Infrastrukturbereich tätig sind, gehören sicherlich dazu, weil sie auch von langfristigen strukturellen Trends profitieren. Dazu gehört die Bekämpfung des Klimawandels ebenso wie die Digitalisierung der Wirtschaft und der Sanierungsbedarf in vielen Staaten. Zudem bieten regulierte Renditen von Versorgern, Einkommen aus dem Konzessionsgeschäft von Mautstrassen und Flughäfen sowie andere Preismechanismen im Bereich Infrastruktur einen guten Inflationsschutz. Dieser kann beispielsweise über den Mechanismus der Tarifsetzung oder über Konzessionsverträge geregelt sein. Infrastruktur-Unternehmen haben auf diese Weise die Möglichkeit, gestiegene operative Kosten weiterzugeben und somit ihre Zahlungsströme vor Inflation zu schützen. Und Bauunternehmen sowie Energieversorger, die die Klimakomponente berücksichtigen, werden langfristig profitieren.

Generell ergeben sich aus der Thematik des Klimawandels Chancen, da wir einen Umbau der Wirtschaft haben. Alles, was mit erneuerbaren Energien zu tun hat, gewinnt. Verlieren wird hingegen der traditionelle Energiesektor.

Der Anstieg der Zinskurve ist bereits jetzt sichtbar. Davon sollten Banken profitieren…

Kurzfristig bin ich für den Sektor positiv gestimmt, da Banken zu den Zyklikern gehören und vom konjunkturellen Aufschwung und den steigenden Zinsen profitieren werden. Die langfristigen Probleme des Sektors sind aber immens. Es besteht generell die Tendenz, dass die Banken an Bedeutung verlieren, sei es im Zahlungsverkehr oder bei der Kreditaufnahme. Kommt der digitale Euro, werden die Banken an Bedeutung weiter einbüssen.

Was sind die Auswirkungen auf den Goldpreis?

Gold sehen wir moderat positiv. Die 70er-Jahre sind ein Beispiel für eine Zeitperiode, wo Gold sehr gut performt hat. Wir rechnen nicht mit einem starken realen Renditeanstieg, weil sich Inflations- und Renditeanstieg ausgleichen. Die Opportunitätskosten für die Goldhaltung bleiben daher wahrscheinlich niedrig. Gold bietet sich deshalb als "Versicherungsschutz" an und kann gut fünf bis zehn Prozent im Portfolio einnehmen.

Joe Biden ist neuer US-Präsident. Gibt es an der politischen Front weltweit eine Beruhigung?

Die Wahl von Joe Biden ist positiv zu werten. Die Unsicherheit, die Trump mit sich gebracht hat, wird sich deutlich verringern. Die ersten Massnahmen, dem Pariser Klimaabkommen und der WHO wieder beizutreten, sind erfreulich. Nichtsdestotrotz bleibt der Konflikt zwischen China und den USA bestehen.

Ein Treiber unserer Zeit ist die soziale Ungleichheit, die den Populismus befördert hat. Insbesondere auf Europa könnten deshalb unruhigere Zeiten zukommen. Derzeit sind mit Frau Merkel in Deutschland, Herrn Macron in Frankreich und Herrn Conte in Italien gemässigte Politiker an der Regierung, die auf Zusammenarbeit setzen. Jedoch kann es gut sein, dass in Italien Herr Salvini an die Macht kommt, der eher für Konfrontation in der EU steht. Und es bleibt offen, wer Nachfolger von Macron in Frankreich wird. 

ManuelBoeck
Manuel BoeckMehr erfahren