"Was haben die geraucht?" - Die rhetorische Frage von Unternehmer Peter Spuhler an die Adresse der Nationalbank, die seit Mitte Juni eine Franken-Aufwertung stärker in Kauf nimmt als davor, zeigt die Brisanz des Themas. Der Patron der Stadler-Rail-Gruppe rauchte gewissermassen selbst, vor Wut. Für die Exportindustrie ist der sinkende Euro-Franken-Kurs ein grösser werdendes Problem. 

Noch in der ersten Juni-Woche notierte die europäische Gemeinschaftswährung über 1,04 Franken. In der Nacht zum 30. Juni fiel der Kurs unter die Parität und notierte am Mittwoch kurzzeitig unter 0,99 Rappen. Dies hat seinen Grund: Zwischenzeitlich, auf den 17. Juni, erhöhte die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Leitzins von -0,75 auf -0,25. Zu dieser Entscheidung lieferte sie einen Kommentar, der eine Wende darstellte: Der Franken "darf" nun stärker aufwerten. Die teilweise importierte Inflation zu bekämpfen ist jetzt wichtiger. 

Die Frage stellt sich, wie sich der für die Schweizer Wirtschaft zentral wichtige Wechselkurs Euro-Franken weiterentwickelt. Folgende Faktoren bewegen das Währungsgefüge derzeit: 

Deviseninterventionen: Über die Jahre hat die SNB immer wieder Devisen aufgekauft, um der Aufwertung des Frankens entgegenzuwirken. Dies hatte zum Resultat, dass die SNB-Devisenreserven massiv gestiegen sind: 2010 betrugen sie 250 Milliarden Dollar, jetzt liegen sie bei über einer Billion Dollar. Mit dem Zinsschritt im Juni hat SNB-Präsident Thomas Jordan auch angedeutet, dass es sowohl zu Käufen als auch Verkäufen von Devisen kommen könne. 

Zinsen: Die Zinsdifferenz zwischen Euro und Franken beträgt nur noch 0,25 Prozentpunkte. Gemeint ist der Abstand zwischen den -0,25 Prozent Leitzins in der Schweiz und dem Null-Leitzins der Eurozone. Vor dem SNB-Zinschritt lag die Zinsdifferenz bei 0,75 Prozentpunkten. Eine solche verringerte Zinsdifferenz wirkt tendenziell zugunsten der Franken-Aufwertung. Die EZB will Mitte Juli den Zins um 0,25 Prozent erhöhen, die SNB hat ebenfalls weitere Zinsschritte in Aussicht gestellt. 

Inflation: Die Schweiz ist im Moment weniger stark von einer massiv anziehenden Teuerung betroffen als die Eurozone. In der Schweiz wurde die Inflation zuletzt bei 3,4 Prozent gemessen, in der Eurozone bei 8,6 Prozent. Beides sind im Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte sehr hohe Zahlen. In der Schweiz aber dämpft der starke Franken den Preisauftrieb. Deswegen kommt die jüngste Aufwertung der SNB wohl nicht ganz ungelegen.

Konjunktur: Die Möglichkeit einer Rezession in verschiedenen Wirtschafts- respektive Währungsräumen ist gestiegen, aber noch keineswegs das zentrale Szenario. Der Weltwährungsfonds sieht für die Schweiz dieses Jahr ein BIP-Wachstum von 2,2 Prozent voraus, für die Eurozone 2,8 Prozent. Allerdings erreichte die Gemeinschaftswährung diese Woche ein 20-Jahresttief zum Dollar. Dies spiegelt eine zur Zeit schwache Zuversicht zur Eurozonen-Wirtschaft.

"Es ist schwer, viel Positives über den Euro zu sagen", sagte HSBC-Devisenanlayst Dominic Bunning zu Bloomberg. Die EZB halte an ihrer Linie fest, im Juli nur eine Zinsanhebung von 0,25 Prozentpunkten vorzunehmen. Dies zu einer Zeit, in der andere Notenbanken ihre Zinsen viel schneller anheben würden. Die Federal Reserve in den USA hat dieses Jahr die Zinsen schon um 1,5 Prozentpunkte nach oben gebracht. 

Ukraine-Krieg: Die weitere Entwicklung ist allerdings von starken Unwägbarkeiten geprägt. Dies liegt vor allem an der Energieversorgung und damit dem Krieg in Osteuropa. Weder die Länge noch der Ausgang des Ukraine-Kriegs, der mit der Invasion Russlands in seinem Nachbarland am 24. Februar begonnen hat, lassen sich auch nur ansatzweise voraussagen.

Sämtliche Wirtschaftsprognosen würden über den Haufen geworfen, würde Russland die Gaslieferungen nach Europa stoppen. Vor allem in Deutschland wird befürchtet, dass Ende Juli die Pipeline North Stream 1 kein Gas mehr transportieren könnte. Die Eurozone und die Schweiz wären beide schwer von einem Gaslieferstopp betroffen. Erfahrungsgemäss aber haben Krisen oft dazu geführt, dass Kapital in sichere Häfen fliesst. Dies könnte den Franken aufwerten lassen. 

Entspannerer Ausblick würde dem Euro nützen

In einem Marktkommentar Ende Juni schrieb Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank in Liechtenstein, dass der faire Wert des Frankens zum Euro bei 0,90 liege. Dafür spräche die berechnete Kaufkraftparität anhand von Produzentenpreis-Indices. "Die Kaufkraftparität ist auf längere Sicht das beste Prognoseinstrument für Währungskurse. Diese 0,90 Franken sind nicht nur theoretischer Natur, mittelfristig laufen wir also auf diesen Wert zu." Wie zügig dies geschehe, sei aber eine andere Frage. 

Gründe, die für ein Wiedererstarken des Euro sprechen, gibt es aber auch. Die EZB könnte durchaus die Zinsen beherzter anheben als derzeit angenommen. Sinken die Inflationsraten aber schneller als angenommen, würde sich das Bild ändern: "Im Moment haben die Fed und die SNB einen Vertrauensvorschuss, weil sie die Zinsen schnell anheben. Sollte die Inflation aber rascher sinken, würde dies die Glaubwürdigkeit der EZB erhöhen, weil sie mit ihrerer vorsichtigen Haltung im Nachhinein 'recht bekäme'", sagt VP-Chefökonom Gitzel. 

Weiter bleibt die Konjunkturlage wichtig. Sollte sich die Lage um das Coronavirus so entwickeln, dass es im Herbst oder Winter nicht zu neuerlichen Lockdowns kommt, würde dies die Wirtschaft in den europäischen Ländern stützen und eventuell auch der Währung Auftrieb geben. Auch ein Gasstopp ist noch nicht sicher. Sollte die Energieversorgung im Winter einigermassen stabil sein, dämpft dies das Rezessionsrisiko. 

Zwar ist der Euro im Moment unter Druck, wegen der ungewissen Aussichten aber unterscheiden sich die Prognosen. Parität, weiterer Kursverfall oder ein wieder stärkerer Euro - die Frage geht an die an die Leserinnen und Leser von cash.ch: Wie entwickelt sich der Kurs von Euro und Franken?