Der diesjährige Höchststand des Schweizer Leitindex SMI lag Mitte Februar bei 11'270 Punkten, bevor er im März auf 7650 Punkte in die Tiefe rauschte. Danach erfolgte eine schnelle Erholung bis Mitte Juli. Seitdem tendiert der Schweizer Leitindex bei über 10'000 Punkten seitwärts. Viele Anleger fragen sich nun aufs Jahresende, wohin die Reise gehen wird: Aufwärts, abwärts oder weiterhin seitwärts?

Performance des Swiss Market Index SMI seit Jahresbeginn (Quelle: cash.ch).

Eins ist klar: Die Unsicherheit an den Märkten ist immer noch gross. Der Volatilitätsindex für den SMI (VSMI) zeigt an, dass die "Normalität" an der Schweizer Börse noch nicht wieder eingekehrt ist. Die Bandbreite der Bewegung lag vor der Corona-Krise - in "normalen" Zeiten – zwischen 10 und 15 Punkten. Aktuell pendelt der VSMI zwischen 15 und 20 Punkten. 

Der Volatilitätsindex VSMI seit Jahresbeginn (Quelle: cash.ch).

Insbesondere drei Themen tragen zur hohen Unsicherheit an den Märkten bei: Die Corona-Fallzahlen, die US-Präsidentschaftswahlen und das amerikanische Corona-Stimulus-Programm. Die kommenden Unternehmensergebnisse und die Brexit-Verhandlungen erscheinen dabei aktuell eher als Randthemen, müssen aber trotzdem berücksichtigt werden. cash.ch ordnet den momentanen Stand der Dinge ein:

Corona-Fallzahlen - Interessiert dies die Börsen überhaupt noch?

Die weltweit täglich vermeldeten Corona-Fallzahlen weisen aktuell mehrheitlich einen steigenden Trend auf. Die Schweiz verzeichnet gar mehr Infizierte innerhalb von 24 Stunden als im High Noon vom letzten März. Im Gegensatz zum Frühjahr bewegen die Infektionszahlen die Börsen jedoch kaum noch. Corona gilt sozusagen als neue "Normalität", mit der sich die Gesellschaft arrangiert hat.

Dies könnte sich theoretisch ändern, falls wieder vermehrt lokale Lockdowns angeordnet werden. Dies ist schon in Spanien mit Madrid geschehen – Frankreich, Grossbritannien und Tschechien könnten folgen. Und in der Schweiz sind lokale Lockdowns in den Notfall-Plänen der Behörden vorhanden. 

Doch einzelne lokale Lockdowns sind aktuell nicht entscheidend für die Börsen, dafür müssten flächendeckende Corona-Restriktionen her. Lokale Restaurant- und Barschliessungen interessieren die Anleger schlichtweg nicht. Diese Lockdowns gefährden eher die langfristige wirtschaftliche Erholung - Konjunkturprognosen könnten in Folge schon bald nach unten korrigiert werden.

Es besteht aber die Gefahr, dass die Fallzahlen wirklich "dramatisch" ansteigen und sich in den Hospitalisierungen niederschlagen. Wenn das Thema "Spitalbetten" wieder aktuell wird und die Corona-Toten wieder massiv ansteigen, wird dies einen Effekt haben. Auf die Psychologie jedes einzelnen und der gesamten Gesellschaft. Ein Jahresendrally an den Börsen ist daher nur dann realistisch, wenn die Fallzahlen zwar konstant steigen, doch keine signifikanten Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen haben - wenn daher die Corona-"Normalität" der letzten Monate bestehen bleibt. 

Hoffnung: Corona-Impfstoff

An den Börsen bestehen immer noch grosse Hoffnungen auf einen bald verfügbaren und wirksamen Impfstoff gegen Covid-19. Aus heutiger Sicht scheint ein breit einsetzbarer Impfstoff erst im zweiten Halbjahr 2021 realistisch. Grund hierfür ist unter anderem, dass die Sicherheit und Wirksamkeit garantiert werden muss.

Es wäre sicherlich eine grosse Überraschung, wenn schon dieses Jahr ein Zulassungsverfahren für einen Impfstoff erfolgreich abgeschlossen würde. In diesem Fall geht Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler davon aus, dass "dies ein potenzieller Auslöser für ein Jahresendrally wäre".

US-Präsidentschaftswahlen – ein klarer Ausgang ist gewünscht

Die Präsidentschaftswahlen sind an den weltweiten Börsen für den Moment in den Hintergrund gerückt, da die Prognosen Joe Biden zunehmend als eindeutigen Sieger sehen. Die amerikanische Nachrichtenwebsite FiveThirtyEight sieht aktuell eine Wahrscheinlichkeit von 86 Prozent, dass Biden siegen wird. Dieser Umstand spielt vordergründig einem potenziellen Jahresendrally in die Hände. Kommt doch von dieser Seite das Börsen-"Gift" Unsicherheit nicht ins Spiel.

Genau dies ist auch für Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank, der entscheidende Punkt: "Es ist schlussendlich nicht mal sehr entscheidend, wer letztendlich gewinnt. Es braucht ein Resultat innerhalb von ein paar Tagen. Das wäre aus meiner Sicht ein Triggerpunkt, der den Optimismus der Anleger stärken könnte."

Auf der anderen Seite würde ein Durchmarsch der Demokraten - "eine blaue Welle" - möglicherweise weitreichende Implikationen für die Wirtschaft haben. "Falls die Demokraten 'durchregieren' können, ist mit höheren Steuern aber auch deutlich mehr Regulierung zu rechnen", sagt Geissbühler gegenüber cash.ch.

Stucki sieht diesem Szenario eher gelassen entgegen: "Egal wer gewählt wird, es gibt ein vorherrschendes Ziel: Die Wirtschaft muss wieder auf die Beine gestellt werden. Die Demokraten werden sicherlich nicht als erstes die Steuern erhöhen, sondern versuchen, mit einem Infrastrukturprogramm die Wirtschaft anzukurbeln."

Doch der Schein eines eindeutigen Sieges könnte auch trügen. Hatte doch Hillary Clinton 2016, wie Ari Melber von MSNBC im untenstehenden Video ausführt, zum gleichen Zeitpunkt ähnliche, wenn nicht bessere Werte in den Befragungen. Hätte Trump tatsächlich mehr Zuspruch als zuletzt gedacht, könnte der November ein nervenaufreibender Monat für die Aktienanleger werden. Insbesondere, wenn die Resultate in den umkämpften Schlüsselstaaten wie Pennsylvania am Wahltag nicht eindeutig sind.

US-Corona-Stimulus-Programm - ein Hin und Her ohne Ende

Es kommt nicht von ungefähr, dass die Börsen sehr sensibel auf die Neuigkeiten bezüglich des Corona-Stimulus-Programms in den USA reagieren. Ist dieses an den Aktienmärkten doch teilweise schon eingepreist. Die Möglichkeit, dass die Erwartungshaltung nicht bedient wird, schürt daher Unsicherheit.

Daher ist der neuste Vorschlag der US-Regierung im Umfang von 130 Milliarden Dollar nicht gerade eine Beruhigungspille für die Märkte. Der Vorschlag liegt deutlich unter den erwarteten 2,2 Billionen Dollar, das die oppositionellen Demokraten bewilligen wollen. US-Präsident Donald Trump hatte zuletzt 1,8 Billionen Dollar angeboten.

Es ist gut möglich, dass das Seilziehen bis zu den Präsidentschaftswahlen andauern wird. Die Konsequenz: Die wirtschaftliche Erholung könnte über kurz oder lang gefährdet werden. Der US-Notenbankchef Jerome Powell warnte letzte Woche davor, "dass zu wenig Hilfen zu einer schwachen Erholung führen würde, was unnötige Härten für Haushalte und Unternehmen erzeugt".

Für Matthias Geissbühler ist klar, sollte es aufgrund der Wahlen zu Verzögerungen beim Stimuluspaket kommen, wäre dies für die Aktienmärkte belastend. Und auch ein Stimulus, der unter 2 Billionen Dollar zu liegen kommt, wäre eher ein negativer Faktor für die Märkte. Gegenteiliger Meinung ist hingegen Thomas Stucki: "Ob das Stimuluspaket kommt oder nicht, hat keinen längerfristigen Einfluss auf die Märkte. Denn, an die Programme der Staaten und Notenbanken haben sich die Börsen gewöhnt."

Unternehmensergebnisse – tiefe Erwartungen werden erfüllt

Die Gewinnerwartungen bei den börsenkotierten Unternehmen wurden infolge der Corona-Krise massiv nach unten korrigiert. Dank der Stabilisierung der Wirtschaft mittels grosszügiger Unterstützung durch die Staaten und die Notenbanken haben sich die Wirtschaftsdaten zuletzt stabilisiert und erholt.

Für die Quartalszahlen bedeutet dies, dass vermutlich keine allzu grossen negativen Überraschungen folgen werden. Und auch beim Ausblick werden sich die Unternehmen davor hüten, zu optimistisch zu sein. Von Seite der Unternehmensergebnisse werden daher dank fehlender Negativberichte vermutlich leicht positive Impulse für die Börsen ausgehen.

Brexit-Verhandlungen – alles ist möglich

Von Seiten des Brexit-Dramas kommen wiederkehrend widersprüchliche Signale. Einmal heisst es, die Verhandlungen stehen in der Sackgasse, das andere Mal äussert man sich optimistisch. Die Märkte scheint das Drama schlussendlich auch nicht mehr so stark zu beunruhigen. Denn vermutlich gehen viele Analysten insgeheim davon aus, dass man in letzter Minute eine Lösung finden wird.

Die Verkündigung selbst dürfte aber nur vorübergehend einen positiven Einfluss auf die Aktienmärkte haben. Sind doch die neuen Realitäten von den Unternehmen selbst schon längst geschaffen worden. Unternehmen haben Stellen von der Insel auf den Kontinent umgelagert und ihre Transportrouten diversifiziert.

Kommt es zu keiner Einigung, gäbe es sicherlich an den europäischen Börsen einen Dämpfer. Insbesondere der britische Aktienindex FTSE 100 könnte unter Druck kommen. Korrekturgefährdet wäre auch das britische Pfund, dass an Wert einbüssen könnte.

Fazit – US-Präsidentschaftswahlen entscheidender Faktor

Bis zu den Präsidentschaftswahlen wird die Unsicherheit an den Märkten bestehen bleiben oder vermutlich sogar noch ansteigen. Eine defensive Ausrichtung ist für die kommenden Wochen sicher keine schlechte Ausgangslage. Denn: "Sollte es im Nachgang zu den Wahlen zu Korrekturen an den Aktienmärkten kommen, könnte dies unter Umständen zu einer attraktiveren Basis für eine Jahresendrallye führen.", sagt Matthias Geissbühler gegenüber cash.ch.

ManuelBoeck
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