"Ich bin überzeugt, dass weder das Material noch die Betten unser erstes Problem sein wird in der kommenden Pandemiewelle, sondern tatsächlich das Personal", sagte Antje Heise, Vizepräsidentin der SGI und ärztliche Leiterin der Intensivstation am Spital Thun, in einem Interview mit der "SonntagsZeitung" und "Le Matin Dimanche".

Die Zahl der Plätze könne mit kreativen Lösungen rasch erhöht werden, so Heise. Die grosse Frage sei, ob genügend der speziell ausgebildeten Pflegefachpersonen für die Intensivmedizin vorhanden sei.

Diese Meinung teilte auch Thierry Fumeaux, geschäftsführender Präsident der SGI und Co-Leiter der Intensivmedizin im Spital Nyon, im Interview mit der "SonntagsZeitung". Nötigenfalls könnten hunderte Beatmungsgeräte organisiert werden, etwa beim Koordinierten Sanitätsdienst oder der Armee. "Die Zahl der Intensivpflegenden können wir aber kaum erhöhen", so Fumeaux.

Anspruchsvolle, zweijährige Ausbildung

Heise sagt dazu: "Intensivpflege ist eine sehr anspruchsvolle, zweijährige Nachdiplomausbildung." Das könne man nicht in zwei Wochen lernen. Wenn plötzlich sehr viele Covid-19-Fälle kommen, könnten nur die Intensivpflegenden die Patienten richtig betreuen.

Hinzu kommt, dass ein Teil des Personals sogar wegfallen wird. "Weil es sich selber infiziert und dann für ein paar Tage ausfällt", sagte Fumeaux. So geschehen mit Fumeaux selbst. Er hat sich mit dem neuen Coronavirus angesteckt.

Sein Fall sei nicht ungewöhnlich, sagte der Intensivmediziner. In Italien gehöre jede zehnte infizierte Person zum Gesundheitspersonal, trotz aller Vorsichtsmassnahmen. Er äussert sich zuversichtlich, in ein paar Tagen wieder gesund zu sein.

Totale Erschöpfung verhindern

Die SGI hat sichergestellt, dass in den kommenden Wochen so viel ausgebildetes Personal wie möglich auf der Intensivstation arbeitet. Dem Personal soll aber Sorge getragen werden.

"In einer Pandemie arbeiten Pfleger und Ärzte oft bis zur totalen Erschöpfung und gefährden sich damit selber. Es ist zentral, dass wir das nicht zulassen", sagte Heise. Im Falle einer Katastrophe seien Careteams und Psychologen da, die das Personal unterstützten.

Wenn es tatsächlich nicht genügend Ressourcen geben sollte, haben laut SGI Patienten Vorrang, die die beste Prognose haben. "Man darf aber keinesfalls diskriminieren nach Alter, sozialem Status oder anderen Faktoren", sagte Fumeaux. Der Arzt müsse so entscheiden, dass die grösstmögliche Anzahl von Leben gerettet werde. "Zentral sind faire und transparente Prozesse."

Patient soll entscheiden

Muss eine schwerkranke Covid-19-Patientin oder -Patient an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden, liegt die Sterberate bei 40 bis 60 Prozent.

Wenn immer möglich werden die Patienten deshalb gefragt, ob sie die Behandlung wünschen. "Aber manchmal sind die Patienten lethargisch oder desorientiert, auch als Folge der Atemnot, und können das nicht mehr selber klar entscheiden", sagte Heise. "Wir rufen deshalb alle auf, sich vorher schon über diese Fragen Gedanken zu machen."

(AWP)