Der Handelskonflikt USA-China hat letztes Jahr die Börsen bewegt. Wird der Zwist auch dieses Jahr für so viel Wirbel sorgen?

Stefan Kreuzkamp: Wir gehen davon aus, dass das Schlimmste im Zollkonflikt nun bereits hinter uns liegt. Das liegt nicht nur am schon erwähnten «Phase 1»-Handelsabkommen, das inhaltlich ja eher spärlich ist, sondern auch daran, dass Unternehmen im Laufe der Zeit häufig Wege finden, um Handelshemmnisse zumindest teilweise zu umschiffen. So scheinen chinesische Unternehmen bereits in grossen Stil Produktionskapazitäten etwa nach Vietnam verlagert zu haben. Aber Präsident Trump hat immer wieder gezeigt, wie unberechenbar er ist. Und der Konflikt über die Technologievorherrschaft zwischen USA und China wird uns noch Jahre beschäftigen, egal wer in den USA die Wahlen im Herbst gewinnt. Für gelegentlichen Wirbel könnte der Zwist daher auch 2020 allemal sorgen.

Grossbritannien will unter Premier Boris Johnson nun rasch die EU verlassen. Welche wirtschaftliche Folgen wird der Brexit aus heutiger Sicht haben?

Kurzfristig positiv ist jedenfalls, dass nach den Jahren der Lähmung zumindest Klarheit über den Austritt selbst besteht. Das verringert zumindest diese Unsicherheit. Die nächste lauert aber bereits in der Frage, ob es Johnson bis zum Jahresende 2020 gelingt, ein neues Handelsabkommen abzuschliessen. Die Zeit dafür ist knapp, auch weil so ein Abkommen von allen Länderparlamenten der EU ratifiziert werden müsste. Es bleiben also nur einige Monate für die tatsächlichen Verhandlungen und Johnson hat eine Verlängerung der Übergangsphase wiederholt ausgeschlossen.

Stefan Kreuzkamp ist Anlagechef der Deutsche-Bank-Tochter DWS (Bild: zVg).

Wir glauben trotzdem nicht an einen ungeordneten Ausstieg Grossbritanniens aus dem Binnenmarkt zum Jahresende.  Selbst wenn kein umfassendes und dauerhaftes Abkommen gefunden werden kann, dürfte es genügend Spielraum für diplomatische Kompromisse geben, um mehr Zeit zu gewinnen. Das wäre auch im politischen Interesse aller Beteiligten. Der Nachteil weiterer Übergangslösungen wäre natürlich, dass das Rätselraten über die endgültige Form des Brexits und damit auch die wirtschaftlichen Folgen weiter ginge. Insbesondere bei Dienstleistungen, die für Grossbritannien von entscheidender Bedeutung sein werden, scheinen längere Übergangslösungen aber nahezu unvermeidlich.

Fed, EZB und SNB: Welche Art von Geldpolitik werden die Institute heuer betreiben? Und was heisst das für die Konjunktur?

Für die EZB und die Fed gehen wir 2020 von keinen weiteren Zinsschritten aus. Allerdings wird die Geldpolitik, bis auf Weiteres locker bleiben, nicht zuletzt dank diverser Instrumente jenseits der Leitzinsen. So hat die EZB die Anleihenkäufe verlängert und die Fed dem Geldmarkt Liquidität zugeführt. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) dürfte ihre expansive Geldpolitik fortsetzen. Für die Konjunktur ist das alles stützend, längerfristig drohen aber durchaus auch unerfreuliche Nebenwirkungen, etwa durch anhaltend negative Zinsen.

Wie wird sich der Euro-Frankenkurs in diesem Jahr entwickeln?

Für Ende 2020 prognostizieren wir 1,11 Franken pro Euro.

Und was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte sonst noch?

Allem voran natürlich die Entwicklungen am Persischen Golf. Wir gehen zwar kurzfristig nicht von einer starken, weiteren Eskalation aus. Aber Spannungen werden uns vermutlich noch über die kommenden Monate immer wieder beschäftigen.

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?

Auch hier spielt die Verunsicherung an den Märkten nach den iranischen Angriffen auf von den USA geführte Militärstützpunkte im Irak natürlich eine grosse Rolle. Kurzfristig könnte der Abschluss des Handelsabkommen zwischen den USA und China wieder für bessere Stimmung sorgen. Dasselbe gilt für jedwede Anzeichen einer weltwirtschaftlichen Erholung. Wobei man natürlich für die Schweizer Börse immer mitbedenken muss, wie schwergewichtig sichere Anlagehäfen aus dem Pharma- und Nahrungsmittelsektor sind. Entsprechend zweischneidig wäre es zumindest bei der relativen Performance, wenn die Stimmung an den weltweiten Finanzmärkten in den kommenden Wochen wieder stärker in Richtung risikofreundlich dreht.

Stefan Kreuzkamp ist Chefanlagestratege (CIO) bei DWS, der Fondstochtergesellschaft der Deutschen Bank.

Das Interview erschien zuerst bei handelszeitung.ch mit dem Titel: «Für Ende 2020 prognostizieren wir einen Euro-Franken-Kurs von 1.11»