"Wir müssen umsteuern und alle Hebel nutzen, um weniger abhängig von russischen Rohstofflieferungen zu werden", sagte Wieland als Mitglied des Sachverständigenrates der Nachrichtenagentur Reuters. "Dazu gehört auch, dass wir Kernkraft länger nutzen und ebenso die Kohleverstromung – zumindest so lange, bis wir eine sichere Energieversorgung haben." Die drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke sollen eigentlich bis Jahresende abgeschaltet werden.
Da neue Speichertechnologien noch nicht vorhanden seien, um Strom aus Erneuerbaren Energien auch dann verfügbar zu haben, wenn die Sonne nicht scheine und der Wind nicht wehe, müsse weiter auf Kohle und Kernkraft gesetzt werden. "Wir werden auf lange Sicht ein Energieimporteur bleiben", sagte Wieland. "Dazu kann künftig auch grüner Wasserstoff gehören, der beispielsweise in Afrika produziert wird."
Mehr Lieferanten und grössere Lagerhaltung
Als Lehre aus der Corona- und Russland-Krise spricht sich Wieland dafür aus, dass sich die deutsche Wirtschaft stärker diversifiziert. "Die Unternehmen müssen sich breiter aufstellen, mit mehr Lieferanten und größerer Lagerhaltung – auch wenn das teurer ist", sagte der Ökonom. "Es lohnt sich aber." Seit Beginn der Corona-Krise machen gestörte Lieferketten insbesondere der deutschen Industrie zu schaffen, die auf Vorprodukte aus dem Ausland angewiesen ist und nun seit vielen Monaten mit Materialengpässen zu kämpfen hat.
"Die deutsche Wirtschaft sollte Vorprodukte aus vielen unterschiedlichen Ländern beziehen", sagte Wieland. "Wenn man nur wenige Bezugsquellen hat, bleibt man sehr anfällig." Mit einem Ende der Globalisierung durch die Corona-Krise und den Krieg in der Ukraine rechnet der Experte aber nicht. "Sie wird sich jetzt verlangsamen. Aber wenn wir unsere Wohlstand halten wollen, bleiben wir auf sie angewiesen."
Ein Risiko sieht der Wirtschaftsweise in der Abhängigkeit von China. "Wir hängen in manchen Bereichen sehr stark an China, etwa in der Autobranche. Daraus ergibt sich ein Risiko." Womöglich sei das harte westliche Vorgehen gegen Russland nach dem Ukraine-Einmarsch aber ein abschreckendes Beispiel für die Volksrepublik, die etwa Taiwan mit einer Invasion bedroht.
(Reuters)