In Vorbereitung auf den Winter steht Deutschland vor der Aufgabe, die Gasspeicher zu füllen. Russland hat die Lieferungen über eine wichtige Pipeline vergangene Woche um rund 60 Prozent gesenkt. Bisher können die Speicher dennoch aufgefüllt werden. Inzwischen beträgt ihr Füllstand 58 Prozent. Bis 1. Oktober soll er bei 80 Prozent liegen und per 1. November bei 90 Prozent.

Das Auslösen der Alarmstufe könnte es den Energieunternehmen erleichtern, Kostensteigerungen an Haushalte und Unternehmen weiterzugeben. Die europäischen Erdgaspreise sind in diesem Monat um 33 Prozent gestiegen und haben am Mittwoch 128 Euro pro Megawattstunde erreicht. Vor einem Jahr lagen sie bei 30 Euro.

Kohlekraftwerke reaktivieren oder Fabriken schliessen

Um den Gasverbrauch zu verringern, erwägt die Bundesregierung, mehr Kohlekraftwerke in Betrieb zu nehmen. Branchen wie die Chemie- und Stahlindustrie haben bereits davor gewarnt, dass sie aufgrund der höheren Energiekosten möglicherweise Fabriken schliessen und die Produktion drosseln müssen.

Der deutsche Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht die Möglichkeit, "dass wir in einigen Wochen und Monaten eine sehr besorgniserregende Situation" haben könnten. Es bestehe die Gefahr einer "sehr ernstzunehmenden Wirtschaftskrise aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise, aufgrund der Lieferketten-Probleme, aufgrund auch der Inflation", sagte er am Dienstagabend in der ZDF-Sendung "heute journal".

«Wir können uns immer mehr Schulden gar nicht mehr leisten»

Der Staat, so Lindner, sei indessen auch selbst Opfer von Inflation. "Die Zinsen, die ich von Ihrem Geld bezahlen muss, die werden im nächsten Jahr auf 30 Milliarden Euro ansteigen, im letzten Jahr waren es 4 Milliarden Euro", sagte der Finanzminister. "Wir können uns immer mehr Schulden gar nicht mehr leisten, weil auch der Staat inzwischen hohe Zinsen zahlt."

Sollte Moskau für einen verlängerten Zeitraum weniger Gas bereitstellen oder die Lieferungen noch weiter drosseln, rechnet der Energiekonzern Uniper SE mit Schwierigkeiten, die Vertragsverpflichtungen gegenüber seinen Kunden erfüllen zu können.

Abkehr von Energie aus Russland nicht schnell genug

Thyssenkrupp betonte am Dienstag auf Anfrage von Reuters, ein Mindestbezug von Gas sei zur Aufrechterhaltung der Produktion unverzichtbar. "Andernfalls sind Stilllegungen und technische Schäden an unseren Aggregaten nicht auszuschliessen", hiess es. Eine Umstellung von Erdgas auf Öl oder Kohle sei in den Produktionsprozessen nicht möglich.

Nach Ansicht des Chefs von Volkswagen geschieht die Abkehr von Energie aus Russland nicht schnell genug, um den deutschen Autobauer bei einem möglichen Wegfall der Erdgaslieferungen aus Russland vor erheblichen Problemen zu schützen. Um Abhilfe zu schaffen, halte sich der Konzern die Option offen, eigene Kraftwerke mit Kohle statt mit Gas zu betreiben, sagte Herbert Diess in einem Interview anlässlich des Qatar Economic Forum in Doha.

(Bloomberg)