An einem Weihnachtsessen in kleiner Runde (ja, das gab es vor rund einem Monat noch) wurden die Eingeladenen gefragt, welches Ereignis oder welche Erfahrung aus dem Finanzjahr 2021 am deutlichsten in Erinnerung bleiben würden. Die Antwort für mich war klar: Das gebetsmühlenartige Wiederholen von Vertretern der Zentralbanken vor allem der Federal Reserve, dass die Inflation nur vorübergehend sei. 

Diese Beschwichtigungen gingen mir im zweiten Halbjahr in gleichem Masse zunehmend auf die Nerven wie die Inflationszahlen Monat für Monat deutlich anstiegen. Nicht, dass ich dem eher pessimistischen "Team Persistent" angehören würde. Also dem Lager, welches die Inflation als nicht vorübergehend betrachtet und das sich mit dem "Team Transitory" - also den Unterstützern der Zentralbanken-Haltung – rhetorisch-wissenschaftliche Duelle liefert. Inflationsprognosen sind schlicht und einfach schier unmöglich.

Dennoch: Man muss nicht Anlegerin oder Ökonom sein, um ein schlechtes Bauchgefühl zu kriegen, wenn die Inflationszahlen auf den höchsten Stand seit Jahrzehnten steigen. Und dass die Zentralbanken nun schon seit fast 15 Jahren eine äusserst lockere Geldpolitik verfolgen und den Markt in beispielloser Weise mit Liquidität geflutet haben, trägt gewiss nicht zur Linderung der abdominalen Beschwerden bei. Für Ex-Pimco-Chef Mohamed el-Erian war vor einigen Wochen schon klar: "Die Charakterisierung der Inflation als vorübergehend war wahrscheinlich die schlechteste Inflationsprognose in der Geschichte der Federal Reserve". 

Leider wurde das schlechte Bauchgefühl vor rund einer Woche denn auch bestätigt. Aus den jüngsten Sitzungsprotokollen der US-Notenbank ging hervor, dass die Mitglieder der Federal Reserve Zinserhöhungen nun doch früher in Betracht ziehen. Schon zwei Wochen zuvor war in Washington Eile ausgebrochen, als die US-Währungshüter eine zügige Abkehr vom Krisenmodus beschlossen und drei Zinserhöhungen im 2022 signalisierten. Solche Kehrtwenden sind Gift für die Glaubwürdigkeit von Zentralbanken.

Klar, dass die Märkte auf derart plötzliche Hektik nach monatelanger Verharmlosung sehr nervös reagieren. Das Resultat ist ein markanter Sprung der Renditen der Staatsanleihen und ein bereits beträchtliches Minus im noch jungen Börsenjahr. Investorinnen und Investoren hassen nichts mehr als eine aggressive und überraschende Straffung der Geldpolitik.

Niemand redet hier von Panik. Auch in Zinserhöhungszyklen können viele Aktien gut laufen, zum Beispiel Banken oder Versicherungen. Man darf sich aber nicht der Illusion hingeben, dass eine Straffung der Geldpolitik an den Finanzmärkten spurlos vorbeiginge. Notenbanken ist es in den letzten 50 Jahren in der Tat nie gelungen, den Märkten während Zinserhöhungszyklen in geordneter Art und Weise Dampf zu entziehen.

Eher sind unberechenbare Entwicklungen die Gewohnheit, die eine jüngere Generation von Anlegerinnen und Anlegern allenfalls vom Hören-Sagen kennt. Der damalige Fed-Chef Alan Greenspan etwa erhöhte Anfang 1999 mitten in der Aktien-Hausse die Zinsen, nachdem er schon zwei Jahre zuvor deutlich vor «irrationalem Überschwang» an den Börsen gewarnt hatte. Eine Marktreaktion blieb auch nach dem Zinsschritt vorerst aus. Es dauerte dann doch noch einige Monate, bis die «DotCom-Bubble» krachend platzte.

Soweit muss es heuer nicht kommen, und auch die Behauptung der Zentralbanken, die Inflation sei nur vorübergehend, könnte allenfalls noch stimmen - mit klar abnehmender Wahrscheinlichkeit allerdings. Die grosse Herausforderung der Notenbanken ist nun aber, dass sie in ihre alte Rolle schlüpfen müssen. Dass sie nicht mehr Zinsen senken, Anleihen aufkaufen oder irgendwelche skurrilen geldpolitischen Anreiz-Programme aus dem Hut zaubern. Kurz: Dass sie nicht mehr stimulieren, sondern drosseln müssen. Denn der typische Konjunkturzyklus, dass dem Wirtschaftswachstum eine höhere Inflation folgt, scheint sich nach rund zwei Dekaden wieder einzustellen.

Eigentlich kann man sich in dieser schwierigen Ausgangslage nur drei Sachen wünschen: Dass die Zentralbanker die Inflationsentwicklung besser einschätzen. Dass ein Börsen-Crash vermieden wird. Und dass eine Rezession ausbleibt.