cash: Herr Pissarides, die USA unter Donald Trump wollen sich vom Freihandel zurückziehen, das kommunistische China spielt sich zum liberalen Globalisierungsturbo auf. Ist die Welt langsam bizarr?
Christopher Pissarides: Es ist bizarr, dass China die Initiative bei der Globalisierung ergreift und dass die USA damit droht, sich davon zurückzuziehen. Aber ich bin froh, dass sie dies tun wird. Denn die Globalisierung hat nicht für alle funktioniert. Sie hat nur durchschnittlich funktioniert. Die Verteilung der Vorteile ist einseitig. Ich hoffe, die Regierungen werden Massnahmen einleiten für die Verlierer der Globalisierung. Denn der private Sektor wird dies nicht tun.
Und China?
Der chinesische Präsident Xi Jinping hat ja in Davos geagt, dass sein Land den Freihandel und die Globalisierung vorantreiben will. Aber das Land muss auch Reformen einleiten. Die gewaltigen Pläne und Investitionen, welche China vorhat, müssen finanziert werden. Chinas Finanzsektor ist aber extrem ineffizient.
Gerade gegen Produkte und Güter aus China will Donald Trump in Zukunft Importzölle erheben. Kommt es soweit?
Ich glaube nicht an diese angedrohten Zölle von Trump und mögliche Handelskriege. Das ist nicht die Zukunft der US-Wirtschaft. Die USA hat den grössten, progressivsten und höchstkapitalisierten Markt der Welt. Zölle und Handelskriege wären ein Rückschritt in die 1930er Jahre. Ich hoffe, Trump wird mit vielen Leuten reden, die ihm von solchen Dingen abraten.
Kommt es demnach bald zu einer Art Normalisierung bei den ganzen Trump-Plänen?
Ich hoffe es. Aber es ist bislang mehr die Hoffnung, denn etwas Konkretes bezüglich einer Normalisierung habe ich noch nicht feststellen können.
In Europa stehen 2017 wichtige Wahlen an. In welchem Zustand geht Europa in das Jahr?
Europa hat seine Probleme noch nicht ganz gelöst. In der Eurozone gibt es bei den Themen wie Bankenunion und steuerliche Koordination noch immer offene Fragen. Europa hat hochgebildete Arbeitskräfte. Ich schätze das Potenzial des Kontinents viel höher ein, falls in der Eurozone eine bessere Politik betrieben wird. Meine Hoffnung ruht auf Deutschland, das im Dezember den Vorsitz der G20-Staaten übernommen hat. Die Initiative liegt vollkommen in den Händen Deutschlands, vor allem nach dem Brexit. Traditionell war die franko-deutsche Allianz der Treiber der Eurozone. Aber Frankreich ist wirkungslos geworden. Ich wünschte mir aus Frankreich wieder mehr von den alten Männern der Europäischen Union wie Jacques Delors oder Valéry Giscard D'Estaing.
Falls Marine Le Pen die französischen Präsidentschaftswahlen im April gewinnen sollte...
...das hoffe ich natürlich überhaupt nicht.
Nun, nichts mehr scheint ausgeschlossen heute.
Das stimmt. Bei meinen Vorhersagen zu Trump und Brexit lag ich beide Male falsch.
Eine Wahl von Le Pen wäre das Ende des Euro?
Ja, ich glaube schon. Es braucht nur ein grosses Land aus der Eurozone auszutreten, um den Euro zu zerstören. Sogar Italien könnte mit einem Austritt aus der Eurozone den Euro beenden. Aber ich glaube nicht, das dies momentan passieren könnte. Der Euro ist diesbezüglich ein struktureller Fehlschlag.
Wie steht die Schweiz in Europa da nach dem Brexit?
Das ändert nicht viel für die Schweiz. Der Finanzplatz könnte allenfalls profitieren. Die Schweiz hat eigene, funktionierende Abkommen mit der Europäischen Union. Der Schweiz geht es gut. Aber bei Ihrer aufwertenden Währung wüsche ich Ihnen viel Glück (schmunzelt).
Der Zypriote Christopher Pissarides (*1948) ist Professor der Volkswirtschaft und Politik an der London School of Economics. Er erhielt 2010 den Wirtschaftsnobelpreis gemeinsam mit Peter A. Diamond und Dale T. Mortensen. Pissarides ist in Davos Delegationsmitglied des European Research Council.