Die Nachricht von der Zulassung des ersten Impfstoffes gegen das Coronavirus kam nur einen Tag nach der Verschärfung der Corona-Massnahmen durch den Bundesrat am Freitag. Das sei reiner Zufall, sagte Anne Lévy, Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), am Samstag vor den Medien. Es gehe nicht darum, die schlechte Botschaft rasch mit einer guten Nachricht zu überdecken.
Die Heilmittelbehörde Swissmedic teilte am Samstag mit, sie habe den ersten Covid-19-Impfstoff für den Schweizer Markt zugelassen, jenen von Pfizer/Biontech. Die Grundlage für die Zulassung von Comirnaty - so der Handelsname des Impfstoffs - ist eine grosse Studie mit über 43'000 Teilnehmern, die weltweit durchgeführt wurde. Die Resultate von 36'000 Teilnehmern sind ausgewertet worden.
Mit knapp 95 Prozent gilt der Impfstoff als hochwirksam. Laut Swissmedic überwiegt nach eingehender Prüfung der Unterlagen der Nutzen die Risiken. Der Impfstoff sei sicher. Gegen die Krankheit geschützt sei man erst nach vier Wochen, sieben Tage nach der zweiten Impfung.
Nur für über 16-Jährige
Nach wie vor unsicher ist, ob die Impfung auch vor der Weitergabe des Virus schützt. Nicht impfen sollen sich Menschen, die auf einen der Wirkstoffe allergisch sind. Zur Impfung von Schwangeren liegen keine Daten vor.
Der Impfstoff kann vorerst nur bei Personen über 16 Jahren angewendet werden. Für die Unter-16-Jährigen sei die Datenbasis noch zu dünn, sagte Swissmedic-Direktor Raimund Bruhin am Samstag vor den Medien in Bern.
Zu den Nebenwirkungen sagte der Leiter des Bereiches Zulassung bei Swissmedic, Claus Bolte, man spüre schon, dass eine Abwehr aufgebaut werde. Zu erwarten seien Symptome ähnlich wie bei einer Grippeimpfung, von der Intensität her "zwischen einem Mücken- und einem Bienenstich".
"Steile Herausforderung" für Kantone
Die unerwartet rasche Zulassung wiederum bringt die Kantone zusätzlich unter Druck. Diese sind für die Verteilung zuständig und stehen vor einer grossen logistischen Herausforderung, wie Michael Jordi, Generalsekretär der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), an der Medienkonferenz betonte.
Die Organisation der Impfungen in den Kantonen sei eine "steile Herausforderung", so Jordi. Die Beteiligten würden bereits jetzt "im roten Bereich" arbeiten. Die Logistik sei nicht einfach. Der Impfstoff werde sehr kalt angeliefert und müsse dann für eine Feinverteilung umgepackt und innert weniger Tage den Menschen verabreicht werden.
Die ersten Impfstoffdosen werden laut BAG in den nächsten Tagen in die Schweiz geliefert, von der Armeeapotheke gelagert und anschliessend an die Kantone verteilt. Die technischen und infrastrukturellen Vorbereitungen seien abgeschlossen, sagte Dan Aeschbach, Leiter der Armeeapotheke.
Zwei Millionen in Risikogruppen
Laut Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle und Impfprogramm beim BAG, gibt es im Land rund zwei Millionen vulnerable Personen, die prioritär geimpft werden sollen, davon rund 1,6 Millionen Betagte.
Die Armee erwartet in den nächsten Tagen eine Lieferung von rund 107'000 Impfdosen von Pfizer/Biontech, dann ab Januar pro Monat rund 250'000. Mit Moderna, Astrazeneca und Janssen-Cilag sind in der Schweiz noch drei weitere Impfungen im Rennen um eine Zulassung. Beim BAG hofft man, dass schon bald die nächste Zulassung erfolgen kann.
Die Kantone können also noch im Dezember schrittweise mit den ersten Covid-19-Impfungen bei besonders gefährdeten Personen und priorisierten Zielgruppen beginnen.
Auf dem Bundesplatz in Bern protestierten am Samstagnachmittag an einer nicht bewilligten Kundgebung rund hundert Personen gegen die bundesrätlichen Corona-Massnahmen - weitestgehend ohne Schutzmasken. Die Polizei ging daran, die Versammlung aufzulösen.
ZH, SG, UR und AI schliessen Skigebiete
Am Samstag ist auch die Zahl der potenziell offenen Skigebiete über die Festtage weiter geschrumpft. Die Regierungen der Kantone Zürich, St. Gallen, Uri und Appenzell-Innerrhoden beschlossen, den Skigebieten ab dem 22. Dezember keine Bewilligung mehr zu erteilen.
Im Kanton Zürich hatten neun Betreiber von Wintersportanlagen ein entsprechendes Gesuch eingereicht. Bereits geöffnete Wintersportanlagen müssen per 22. Dezember bis vorerst am 22. Januar 2021 schliessen. Auch alle damit zusammenhängenden Aktivitäten wie Restaurationsbetriebe oder Skischulen sind untersagt.
In Absprache mit den Zentralschweizer Kantonen hat der Kanton Uri entschieden, den Skigebieten vom 22. bis 29. Dezember keine Bewilligung zu erteilen. Er will damit das Unfallrisiko senken und eine Überlastung der Spitäler verhindern.
Fernunterricht an St. Galler Mittelschulen
Im Kanton St. Gallen müssen zudem Schulen ab der Sekundarstufe II wegen der Ausbreitung des Coronavirus nach den Weihnachtsferien auf Fernunterricht umstellen. Davon betroffen sind Berufsschulen und die Mittelschulen.
Die Regelung gilt ab 4. Januar für zwei Wochen. Im Kindergarten, in der Primarschule sowie in der Sekundarstufe I findet weiterhin Präsenzunterricht statt.
Der Kanton Thurgau kommunizierte am Samstag eine Homeoffice-Anweisung, verbot Menschenansammlungen von mehr als zehn Personen im Freien und schloss Bordelle. Sämtliche Beschlüsse gelten ab kommenden Dienstag.
Der Regierungsrat begründete den Schritt mit hohen Fallzahlen, dem schweizweiten Spitzenplatz bei der Reproduktionszahl sowie der hohen Auslastung der Betten auf den Intensivstationen.
Gegen "Kantonales Virus-Pingpong"
Derweil warnten die Notfall- und Rettungsmediziner am Samstag bereits vor einer dritten Corona-Welle Ende Januar/Anfang Februar. Gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA beklagte Aristomenis Exadaktylos, Co-Präsident und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin (SGNOR), die "Inhomogenität" der Anti-Corona-Massnahmen.
"Dies lässt das Virus sich ständig verbreiten." Morgen könne es wieder das Wallis treffen. Es brauche homogene, also landesweit einheitliche Regeln. "Sonst spielen wir nur kantonales Virus-Pingpong".
(AWP)