cash: Herr Rupp, die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich besitzt im Grossraum Zürich rund 4700 Wohnungen. Wie viele davon sind derzeit frei?

Hans Rupp: Momentan haben wir keine verfügbaren Wohnungen. Wenn eine frei ist, schreiben wir sie auf unserer Webseite aus.

Ist das normal?

Die Anzahl Wohnungen, die auf den Markt kommen, ist derzeit in der Tat gering. Deshalb freut es uns, dass wir Ersatzneubauten erstellen können. Dadurch können wieder neue Wohnungen an externe Personen vermietet werden. Ein Meilenstein wird der Glattpark sein, der in zwei Jahren bezugsbereit sein sollte.

Würden Sie im Grossraum Zürich von einer Wohnungsnot sprechen?

Das ist eine Frage der Definition. In Zürich muss niemand auf die Strasse. Aber es ist für viele Leute schwierig, als Stadtbewohner eine neue Wohnung in der Stadt zu finden. Sie müssen entweder in die Agglomeration ziehen oder deutlich höhere Mieten akzeptieren. Gerade für Familien mit Kindern ist das schwierig und führt dazu, dass die Zahlungsbereitschaft abgeschöpft wird.

Abschreckendes Beispiel dieser Situation war die Besichtigung der Siedlung Kronenwiese in Zürich, wo sich tausende Leute für rund 90 Wohnungen interessierten. Ist der Wohnungsmarkt völlig aus den Fugen geraten?

Meiner Meinung nach funktioniert der Immobilienmarkt nur in einem sehr engen Bereich im Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Wenn es zu viel Angebot gibt, müssen viele Immobilienfirmen Konkurs anmelden. Wenn die Nachfrage zu gross ist, entstehen Situationen, wie wir sie momentan erleben.

Wieso funktioniert ein grosser Teil des Immobilienmarktes nicht im herkömmlichen Sinn?

Weil es um eine beschränkte Ressource geht, nämlich den Boden. Das lernen alle Ökonomiestudenten im ersten Semester. Ein Markt, in dem das zu verteilende Gut beschränkt ist, kann nicht funktionieren. Deshalb schufen die Bauern früher Allmend-Kooperationen, um diese Ressource effizient zu nutzen. Die Wohnbaugenossenschaften übertrugen diese Idee auf den Stadtboden. Dadurch wurde der Haupttreiber, der zu Engpässen führen kann, ausgehebelt. Nämlich der Gewinn auf den Bodenpreisen.

Sollte denn Bodenspekulation in der Schweiz verboten werden?

Unser System neutralisiert den Faktor der beschränkten Ressource. Das ist eine sehr clevere Sache. Erst durch das kollektive Grundeigentum kommt der Markt zum Funktionieren.

Plädieren Sie für einen Schweizer Immobilienmarkt, der nur aus Genossenschaften besteht?

Nein. Wir können nur erfolgreich sein, wenn sämtliche Akteure am Markt zusammenspielen. Es könnte noch mehr Baugenossenschaften vertragen. Aber es braucht auch private und institutionelle Investoren. In anderen Ländern übernehmen vielfach die Kommunen die Rolle, die wir hier abdecken. Weil das liberale Prinzip des Unternehmertums in den Genossenschaften viel stärker umgesetzt wird als im kommunalen Wohnungsbau, funktioniert es in der Schweiz sehr gut. Denn wir sind rechtlich unabhängige Organisationen.

Wenn man von Wohnbauprojekten hört, die mit 50 Prozent Leerstand bereits rentieren, kommen tatsächlich Zweifel auf, dass der Wohnungsmarkt noch spielt.

Nein, das tut er nicht. Momentan spürt man das noch nicht so stark. Aber sobald der Wirtschaftsmotor etwas ins Stottern gerät, die Zuwanderung abnimmt und die Banken noch restriktiver werden bei der Kreditvergabe, dann wird es im hochpreisigen Segment noch mehr Leerstände geben. Der eine oder andere Immobilienanbieter wird das nicht überleben. Meine Sorge ist, dass gewisse Quartiere wegen dieser Bauten an Attraktivität verlieren werden. Die gegenwärtigen Fehlallokationen werden sich aus städtebaulicher Sicht physisch manifestieren.

Falls es zu einer Korrektur auf dem Immobilienmarkt kommt, dürften sie zu den Gewinnern gehören.

Momentan gehören wir zu denen, die unter dem Umfeld leiden. Denn wir sind nicht bereit, so viel Geld in den Boden zu investieren und dadurch hohe Mieten zu generieren. Es werden Preise bezahlt, die völlig übertrieben sind. Der Treiber ist dabei vor allem das Stockwerkeigentum. Unsere Strategie ist deshalb, die bestehenden Siedlungen nach innen zu verdichten.

Wo liegt denn ihre finanzielle Schmerzgrenze, wenn es um den Erwerb von Liegenschaften oder Grundstücken geht?

Es kommt immer auf das Objekt an. Einer unserer Zielwerte ist, dass die Miete einer neuen Viereinhalbzimmer-Wohnung unter 2000 Franken brutto kosten soll. Alles andere rechnet sich aus unserer Sicht nicht, vor allem im jetzigen Zinsumfeld.

Angenommen der Immobilienmarkt boomt weiter. Wie möchten sie weiterwachsen?

Wir erweitern unseren Radius. Früher konzentrierten wir uns auf den engeren Zürcher Agglomerationsgürtel. In Zukunft möchten wir unsere Tätigkeit auf den Zürcher Wirtschaftsraum ausweiten.

Das Stadtzentrum wird auch für die ABZ zusehends zu teuer?

Wir geben das Zentrum nicht auf, denn wir haben einige Projekte in der Pipeline. Entscheidend ist für uns auch, dass in Bezug auf die Bau- und Zonenordnung der Stadt Rechtssicherheit hergestellt wird und was die Stadt mit dem kommunalen Richtplan macht. Die Stadt Zürich muss in den nächsten 20 bis 30 Jahren Wohnraum für 80'000 bis 100'000 neue Bewohner auf dem Stadtgebiet nachweisen. Das eröffnet den verschiedenen Akteuren neue Chancen.

Welches sind ihre häufigsten Kooperationspartner?

Die Stadt Zürich ist ein wichtiger Partner, aber auch andere Genossenschaften. Mit institutionellen Investoren pflegen wir ebenfalls Austausch und Kontakt. Es kann durchaus vorkommen, dass auf einem Grundstück ein Teil Stockwerkeigentum gebaut wird und daneben gemeinnütziger Wohnungsbau entsteht. Ein Beispiel ist der Wettbewerb um das Hardturmstadion: Investoren sind mit von der Partie, das Stadion wird für die ganze Stadt gebaut und ein wichtiger Teil macht der gemeinnützige Wohnungsbau aus. Wir sind gespannt, welches Team hier den Zuschlag erhält.

Wo gibt es Gemeinsamkeiten zu den institutionellen Investoren?

Es gibt eine Gemeinsamkeit. Das ist die Langfristigkeit. Bei den institutionellen Investoren in Form einer Rendite, bei uns in Form eines stabilen Gebäudes. Der Markt ist auch für Investoren so schwierig geworden, dass sie zusehends die Bedingungen des gemeinnützigen Wohnungsbaus akzeptieren. Nur um das überschüssige Kapital parkieren zu können.

Ihre Mitglieder haben die Möglichkeit, bei der ABZ Geld in der Depositenkasse für derzeit 1,125 Prozent anzulegen. Wie funktioniert das?

Wir haben einen ausgewogenen Finanzierungsmix. Es gab auch schon Phasen, da lag unser Zins unter dem eines Sparkontos. Die Depositenkasse ist ein Instrument zur Bindung der Mitglieder und zur Finanzierung.

Zu welchem Grad finanzieren Sie sich über die Banken und zu welchem über die Mitglieder?

In den letzten Jahren haben wir vermehrt Hypotheken abbezahlt. Das hatte auch damit zu tun, dass die Depositenkasse sehr attraktiv war. Im Moment machen die Hypotheken rund die Hälfte des Fremdkapitals aus, die Depositen ein Drittel.

Wir erleben momentan eine Zeit rekordtiefer Hypothekenzinsen. Wie würden sie steigende Zinsen verkraften? Müssten sie die Mieten erhöhen?

Die ABZ ist bei der Festlegung der Mieten an den Referenzzinssatz gebunden. Sie finanzierte sich in den letzten Jahren immer unter dem Referenzzinssatz mit entsprechend tieferen Mieten. Doch nun haben wir die Talsohle erreicht. Wenn der Referenzzinssatzwieder anzieht, passen wir uns entsprechend an, was auch Auswirkungen auf unsere Mieten hat.

Haben Sie anderweitig Vorkehrungen gegen steigende Zinsen vorgenommen?

Wir haben uns auch mit Swaps abgesichert, die wir momentan negativ bewerten müssen. Aber abgerechnet wird am Ende der Laufzeit.

Inwiefern profitieren sie von ihrem Status als Genossenschaft, wenn sie sich mit einem privaten Investor vergleichen?

Es geht hier nicht um die Rechtsform der Genossenschaft, sondern um die Gemeinnützigkeit, der wir uns verpflichtet sehen. Weil wir auf die Bodenrente verzichten und Leistungen für die Allgemeinheit übernehmen, sind Baurechtsverträge anders geregelt als bei kommerziellen Investoren.

Rund ein Viertel aller Wohnungen in der Stadt Zürich sind gemeinnützig. Kann dieser Anteil in Zukunft gehalten werden?

Im Moment ist es schwierig, gegen das Stockwerkeigentum zu konkurrenzieren, wie die erwähnten Verwerfungen und Fehlallokationen in diesem Segment zeigen.

Würden die ABZ gerne mehr bauen?

Wir wären bereit, mehr zu machen. Das wäre auch im Sinne der Stadtzürcher Stimmbevölkerung, die sich dafür ausgesprochen hat, dass ein Drittel der Wohnungen gemeinnützig werden soll.

Führen die steigenden Mieten dazu, dass der durchschnittliche Bewerber wohlhabender ist als früher?

Wir spüren das nicht. Unter unseren rund 11'000 Bewohnern streben wir eine gute Durchmischung an. Wenn man aber die Gesamtbevölkerung betrachtet, dann wohnen die reichsten und die ärmsten fünf Prozent nicht bei der ABZ. Wir haben strikte Belegungsvorschriften und beschränken uns beim Flächenverbrauch, was für wohlhabendere Personen weniger infrage kommt. Einen Ausschluss aufgrund eines hohen Einkommens gibt es aber nicht.

Passen sie die Mieten an, wenn jemand im Laufe der Zeit Karriere macht?

Wir haben keine einkommensabhängige Mieten. Zur Diskussion steht aber, ob Leute ab einem gewissen Einkommen einen Teil davon in einen Topf zu bezahlen sollen, um die Genossenschaft weiter zu entwickeln. Ein Teil des Geldes, das diese Personen durch die tiefen Mieten sparen, würden sie also mit der Allgemeinheit teilen.

Auch die ABZ wird mit Anfragen überrannt. Wie stellen sie sicher, dass sie die 'richtigen' Personen auswählen?

Wir können keine Wartelisten mehr führen. Wir schreiben eine Wohnung etwa einen Tag lang aus und schauen uns dann die Bewerbungen an. Wichtig ist uns vor allem, dass ein Bewerber zur Wohnung und zur Siedlung passt.

Wenn Sie die ABZ in einen Begriff definieren müssten, wie würde dieser lauten?

Wir sind eine Heimatgenerationsmaschine. Die Verantwortung über das rein Bauliche hinaus zeichnet uns aus. Wir wollen einen Beitrag zur Kohäsion und zur Entwicklung der Gesellschaft leisten.

Damit stehen sie im Gegensatz zu vielen privatwirtschaftlichen Firmen, die Renditemaximierung ins Zentrum stellen. Braucht es diesbezüglich mehr Verantwortung?

Es gibt sehr viele Akteure, die ihre Verantwortung über das reine Wirtschaften hinaus wahrnehmen. Ich erkenne diesbezüglich einen Trend. Es muss uns allen bewusst werden, dass die Zusammenhänge global sind und dass wir nur mit einem gemeinsamen Effort weiterkommen. Ich wünschte mir aber, dass es noch mehr Akteure gibt, die in ihrem Businessplan der Frage 'was nützt es uns?' eine cash-Position geben.

Die ABZ wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Wo sehen Sie die Genossenschaft in den nächsten Jahrzehnten?

Der Ausbau von Dienstleistungen rund um den Bereich Wohnen wird in Zukunft wichtiger. Die Digitalisierung ist dabei ein wichtiger Treiber. Auch sind die Menschen vermehrt auf der Suche nach einem Rückzugsort.

Wie soll sich ihr Siedlungsbestand entwickeln?

Wir wollen auf einen kontinuierlichen Wachstumspfad. Bis jetzt gab es immer wieder Phasen der Stagnation, die wir in Zukunft vermeiden wollen. Bei einem Bestand von 5000 Wohneinheiten könnte das pro Jahr ein Zuwachs im tiefen dreistelligen Bereich sein.

Im Video-Interview äussert sich Hans Rupp zudem zu kreativen Wohnungsbewerbungen.

Hans Rupp (*1966) ist seit 2013 Geschäftsführer der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ). Er absolvierte an der Uni Zürich einen Executive Master of General and International Management und hatte schon verschiedene Führungspositionen bei NGO und NPO mit nationaler und internationaler Ausrichtung inne. Die ABZ beschäftigt 79 Festangestellte und verfügt über eine Bilanzsumme von rund 890 Millionen Franken.