In den aktuellen Brexit-Wirren betonen die Schweizer Banken, wie wichtig ihnen der EU-Marktzugang sei. Im cash-Interview vor einer Woche sagte Bankier-Präsident Patrick Odier etwa, wie zentral ihm und der Branche dieses Anliegen sei.  Schätzungsweise 28'000 oder ein Fünftel der Schweizer Banker-Jobs und 19 Milliarden Franken Wertschöpfung hängen davon ab, so die Zahlen der Bankiervereinigung.

Beim Marktzugang geht es vor allem um das Private Banking und das Fondsgeschäft, das grenzüberschreitend angeboten werden soll. Denn nicht alle Banken können oder wollen im Ausland Niederlassungen eröffnen. 

Drei Faktoren müssen dazu geregelt sein: Kapitalmarktregulierung, Steuerfragen und das Thema Geldwäscherei. Wie der Überblick über die wichtigsten Themen des EU-Marktzugangs zeigt, dass vor allem das Thema Regulierung noch eine Knacknuss darstellt.

  • MiFID/MiFID II: Die Markets in Finanical Instruments Directive (MiFID) ist die Finanzmarktregulierung für die EU sowie Norwegen, Island und Liechtenstein. Sie soll im Europäischen Binnenmarkt die Direktiven vereinheitlichen. Das Instrument MiFID besteht seit 2004, soll aber wegen der Weiterentwicklung der Finanzindustrie mit MiFiD II neu geregelt werden.

Kernstücke dieser Regulierung sind Vorschriften zur Transparenz und zum Anlegerschutz, aber auch Regeln zum Hochfrequenzhandel und zum Rohstoffhandel. MiFID II ist auch der Ausgangspunkt für weitere Gesetzgebungen. Derzeit ist die Einführung auf Januar 2018 geplant. Die Einführung hängt von den EU-Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament ab. Umgesetzt werden müssen sie von den Mitgliedstaaten der EU und des EWR.

Für die Schweiz ist MiFID II wichtig, weil die Schweizer Regulierung mit den EU-Normen zumindest äquivalent sein will. MiFID II gilt für Schweizer Unternehmen, die in der EU tätig sind oder die mit dortigen Firmen zusammenarbeiten. Für die Schweiz ist von Interesse, dass das grenzüberschreitende Geschäft weiter betrieben werden kann, und zwar ohne den Filialzwang, also dass Schweizer Banken in anderen Märkten zwingend eine Niederlassung haben.

Das Brexit-Votum vom 23. Juni könnte den ohnehin schon holprigen Fahrplan der EU-Finanzmarktregulierung indessen verzögern: Der Austritt Grossbritanniens aus der EU könnte für die dortige Finanzbranche bedeuten, dass sie wie das Nicht-EU-Mitglied Schweiz eine eigene Gesetzgebung mit der EU austarieren müsste. Denkbar ist aber auch, dass Grossbritannien die EU-Regulierungen, die es selber mitausgearbeitet hat, im Rahmen der Neuregelung der EU-Beziehungen beibehält.

  • Fidleg/Finig: Das Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) und das Finanzinstitutsgesetz (Finig) werden als die Schweizer Antworten auf die EU-Regulierung MiFID-II  bezeichnet. Im November hat der Bundesrat dazu die Botschaft verabschiedet. Allerdings ist umstritten, inwieweit diese Gesetzgebung den EU-Marktzugang für die Schweizer Finanzbranche ermöglicht.

Die EU-Richtlinie MiFID II – vor allem für das Private Banking wichtig – enthält keine Drittstaatenregelung für ein Land wie die Schweiz. Die einzelnen EU-Länder können bei der Implementierung der Regeln selbst entscheiden, ob sie den Schweizer Banken einen Marktzugang gewähren wollen. "Die Schweiz muss also entweder mit der EU oder den Einzelstaaten Regelungen finden", sagt Pascal Sprenger, Partner bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG. Mit den einzelnen Staaten eine Übereinkunft zu finden, sei in der derzeitigen Situation wahrscheinlich einfacher. Immerhin beinhaltet die EU-Verordnung zur MiFID II, die MIFIR, einen Marktzugang für professionelle Kunden. Voraussetzung ist hier allerdings, dass das Schweizer Recht von der EU-Kommission als gleichwertig anerkannt wird.

Für Fondsanbieter ist die Situation etwas klarer. Die entsprechende EU-Richtlinie AIFMD (Alternative Investment Fund Managers Directive) enthält eine Drittstaatenregelung. Das Schweizer Äquivalent zu AIFMD ist das Kollektivanlagengesetz. Aber auch unter der AIFMD können nur professionelle Kunden angegangen werden.

  • Freistellungsverfahren: Aufgrund des Freistellungsverfahrens können Banken auch ohne Bewilligung des betreffenden Landes Kunden grenzüberschreitend betreuen und Finanzdienstleistungen anbieten. Diese Möglichkeit unterliegt aber Einschränkungen. Bisher hat die Schweiz mit Deutschland ein Abkommen betreffend Freistellungsverfahren geschlossen.
  • Passive Dienstleistungsfreiheit: Eröffnet ein ausländischer Kunde in der Schweiz ein Konto, darf die Bank ihn nach Schweizer Recht grundsätzlich annehmen. Komplizierter wird es, wenn diese Bank dem Kunden zusätzliche Dienstleistungen anbieten will, ohne dass der Kunde danach gefragt hat: Bei einer zu "grosszügigen" Auslegung dieser Richtlinie drohen Banken Probleme. "Sollte der Kunde übrigens gegen die Bank klagen, kann der Kunde in der Regel in seinem Land klagen, auch wenn gemäss dem Vertrag Gerichtsstand Schweiz vereinbart wurde. So kann dann gewissermassen durch die Hintertüre auch ausländisches Recht vom Richter angewendet werden, wenngleich die Bank mit dem Kunden Schweizer Recht vereinbart hatten", erklärt KPMG-Partner Sprenger.
  • «EU-Passport»: Die Unsicherheit über die künftige britische Stellung in Europa betrifft den so genannten EU-Passport, der allerdings für Banken ein Thema ist, die Kunden onshore betreuen. Vor allem die Grossbanken UBS und Credit Suisse bieten damit von London aus Dienstleistungen in EU-Ländern an. Eine relativ einfache Lösung wäre - sollte London diesen Zugang zur EU verlieren - dass die Schweizer Banken ihre Präsenz in anderen Städten wie Dublin, Luxemburg oder Frankfurt ausbauen und dort den EU-Passport anwenden.
  • Steuerfragen: Mit Beginn der Finanzkrise 2008 und danach der Euro-Schuldenkrise belasteten das Schweizer Bankgeheimnis und die Steuerflucht von EU-Bürgern die Aussenbeziehungen des Finanzplatzes. Der Versuch der Schweiz, das Problem mit dem Schwarzgeld durch eine Abgeltungsteuer zu lösen, scheiterte 2012 an der ablehnenden Haltung Deutschlands. Eine solche Regelung, wie sie die Banken selbst ins Spiel gebracht hatten, wäre mit der Vergangenheit der Steuersünder relativ grosszügig umgegangen.

Ein automatischer Informationsaustausch (AIA) über Konten im grenzüberschreitenden Geschäft wurde zunächst nicht eingeführt, weil EU-Ländern wie Luxemburg oder Österreich ihn selbst nicht anwandten. Luxemburg änderte aber 2013 die Position. Die Schweiz führte den AIA 2015 ein. Zugleich wurden mit Ländern innerhalb und ausserhalb der EU Abkommen geschlossen, um die Praxis der Steuerflucht zu beenden und die Situation der Steuerflüchtlinge zu regularisieren, sprich: Sie zahlten Steuern nach und wurden zum Teil auch gebüsst, zum Teil nach Selbstanzeigen.

Die Banken verfolgen seither eine Weissgeld-Strategie, womit die Steuer-Problematik beim EU-Marktzugang weitestgehend geregelt sein wollte. Ähnlich ist es bei der Geldwäscherei, wo die Schweiz ebenfalls die Gesetzgebung im internationalen Vergleich weit vorangetrieben hat.  

Der EU-Marktzugang der Schweizer Banken liegt letztlich an der Politik. Die Beziehungen zu Brüssel sind durch zwei wesentliche Fragen belastet: Zum einen die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, die ein Beschränkung der Immigration will. Auf der anderen Seite steht der Streit um den institutionellen Rahmen der Beziehungen Schweiz-EU und wie weit die Schweiz EU-Recht automatisch übernehmen soll oder nicht.

Während in der Schweiz eine Mehrheit der Bevölkerung deutlich gegen einen EU-Beitritt ist und auch die Übernahme von EU-Recht kritisch gesehen wird, will gleichzeitig eine Mehrheit – immer gemäss Umfragen – die bilateralen Beziehungen zur EU erhalten. Das Brexit-Votum hat die EU allerdings erschüttert, was die Schweizer Verhandlungsposition noch schwieriger macht.

Solange keine Klarheit besteht, in welcher Beziehung Grossbritannien künftig zur EU steht, ist das Aushandeln von Regelungen für die Schweiz schwierig. Zudem streitet sich die EU seit dem Briten-Votum selber erneut, ob sie künftig mehr Bundesstaat oder Staatenbund sein will.